Umland

Woltersdorf: Ausflug ins märkische Hollywood

Mein erster Deutschlandtickettrip führte mich nur bis knapp vor die Tore Berlins, aber doch in eine andere Welt. Das Erlebnis beginnt schon mit der Fahrt mit der historisch anmutenden Straßenbahn von Rahnsdorf nach Woltersdorf, das einst ein Zentrum deutscher Filmproduktion war. Daran erinnert zwar nicht mehr viel, aber immerhin die Ausstellung „Als Woltersdorf noch Hollywood war“ im knarzigen Aussichtsturm.

Straßenbahn Woltersdorf
Historische Straßenbahn nach Woltersdorf

Aus der Zeit gefallen

Die Anreise mit der rumepligen Tram ist vor allem eins: extrem laut. Das Signal, das an jeder Station ertönt, klingt wie ein uraltes Telefon, das in Schwarz-Weiß-Filmen schrill durch riesige Hallen schallt. Die ersten Male bin ich richtig zusammengezuckt. Am Bahnhof angekommen, steigt man in einer anderen Zeit aus. Einen Laden, der alte Kinderschallplatten verkauft, gibt es dort ebenso wie Konditoreien, die bunte Zucker- und Marzipanfiguren in der Auslage haben. Die haben mich sofort an meine Kindheit erinnert.

Nostalgischer Plattenladen in Woltersdorf

Vorbei an der blauen Klappbrücke an der Schleuse, die etliche Schaulustige anlockt, geht es leicht rechts den Berg hinauf bis euch ein Schild nach links rein in die Natur schickt.

Woltersdorf
Weg zum Woltersdorfer Aussichtsturm

Museum? Och …

Nach etwa 15 Minuten den Kranichsberg hinaufspazieren, sah ich auch schon den Aussichtsturm hinter Baumkronen aufragen, dessen Sockelbemalung auf die Geschichte des Ortes als Filmstadt verweist.

Aussichtsturm Woltersdorf

„Einmal ins Museum, bitte!“. Der Mann hinter der Glasscheibe zog die Augenbrauen hoch und musterte mich. „Museum? Och, najaaaa … “. „Bin ich falsch?“ fragte ich leicht verwundert, immerhin sah ich ja schon Plakate. „Nee, ach, schauen Se einfach mal. Zwei Euro, bitte“. Auch der Eintrittspreis hier erschien mir nicht besonders zeitgemäß – erfreulicherweise. Als Einführung bekam ich eine Dokumentation eingeschaltet, die spannende Einblicke in die Drehorte rund um den Kalksee lieferte, wo der Produzent Joe May ganze Städte und Paläste als Kulissen errichten ließ.

Stufe für Stufe Kulissenrelikte

Dann geht es los in die Ausstellung, die vor allem aus Infoplakaten und Überbleibseln der historischen Filmkulissen besteht. Diese wurden einfach hier und da auf Balken und am Boden verteilt. Ein wirklich putziges Gegenstück zur Deutschen Kinemathek in Berlin!

Woltersdorf Museum
Kulissenfragmente

Insgesamt 90 Stufen, die bei jedem meiner Schritte ordentlich ächzten, hat der 1961 errichtete Turm. Vorgängerbauten standen allerdings bereits seit 1886 an der Stelle. Viele der Steinfragmente stammen aus der ersten Verfilmung von „Das indische Grabmal“ von 1931 nach dem Drehbuch von Thea von Harbou und Fritz Lang. An den Kulissen arbeiteten 300 Angestellte wie Zimmerleute, Stuckateure und Maler ganze 5 Monate lang. Am Dreh waren 2.000 Komparsen beteiligt und die Tiere wie Elefanten und Krokodile lieferte ein Zirkus.

Woltersdorf Museum

Entstehungsgeschichte von „Das indische Grabmal“

Auch zum Remake von 1938 bekommt ihr einige Infos. Da hat doch tatsächlich Theo Lingen mitgespielt. Das ergibt insofern allerdings einen Sinn, als dass man diese Version etwas weniger düster und klamaukiger anlegen wollte als das Original. Den Maharadscha spielte Fritz van Dongen und ich finde, dass er auf dem Bild fast aussieht wie der indische Herrscher aus der Neuverfilmung von 1959: Walther Reyer, den ich als Kind ein bisschen angehimmelt habe. (Danke Mama, dass du so viele alte Schinken immer und immer wieder mit mir angeschaut hast!)

Insgesamt wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über 50 große Filme hier gedreht und alle, die sich ein bisschen mit der frühen Filmgeschichte auskennen, werden hier auf unzählige bekannte Namen treffen. Ernst Lubitsch, Emil Jannings, Hans Albers – sie alle arbeiteten zeitweilig in Woltersdorf. Die beiden letzteren leider vor allem in den späten 30er-Jahren an Propagandafilmen.

In Woltersdorf gedrehte Filme mit Jannings und Albers

Die Aussicht genießen

Wenn ihr trotz Knarzen bis nach oben gegangen seid, erwartet euch ein herrlicher Rundumblick über die umliegenden Wälder und Seen. Auch das Chemiewerk im benachbarten Rüdersdorf, das damals ebenfalls für Filmproduktionen genutzt wurde, könnt ihr am Horizont erkennen.

Übrigens wurden auch deutlich später noch Filme hier gedreht, beispeilsweise von der DEFA. Vor allem Rüdersdorf wird sogar heute noch von Hollywoodregisseuren als Drehort genutzt und Heinz Rühmann spielte dort 1993 in seinem letzten Film mit: „In weiter Ferne, so nah“.

Das märkische Grabmal

Ich persönlich bin ja ein riesen Fan des frühen Kinos und fand das kleine Museum absolut toll. Ich war so begeistert, dass ich mir sogar noch am Eingang das Buch „Das märkische Grabmal“ kaufte. Der Mann an der Kasse erzählte mir, dass das der Woltersdorfer Bestatter geschrieben habe. Ich würde auf dem Weg an seinem Haus vorbeikommen und könnte ja mal klingeln. „Und dann frage ich nach einem Autogramm?“ – „Hmmm, klar, warum nicht?“. Die Idee fand ich schon irgendwie witzig, aber hab es nicht gemacht, das wäre mir doch ein bisschen schräg vorgekommen.

Es ist auch nicht gerade ein Buch, das man unbedingt besitzen muss, aber die Zeitzeugenberichte von Anwohner*innen, die als Kinder bei den Dreharbeiten zuschauten oder sogar mitspielten, sind schon interessant.

Woltersdorf – für Film- und Nostalgiefans

Ich kann euch den kleinen Ausflug nach Woltersdorf nur empfehlen. Am Ende könntet ihr noch nach Rüdersdorf wandern oder den Trip in einem der Restaurants oder Biergärten am Wasser ausklingen lassen, bevor ihr zurück tuckert. Am besten steckt ihr für die Fahrt ein paar Ohrstöpsel ein. Wobei ich auf dem Rückweg immerhin nicht mehr zusammengezuckt bin.

Flakensee Woltersdorf

Infos zu den Öffnungszeiten und einige Eckdaten zum Aussichtsturm bekommt ihr hier.

2 Comments

  • Michael Viete

    Ist herrlich beschrieben, aber leider kleibe Fehler.
    Die historische Straßenbahn fährt leider nicht jeden Tag und sieht historisch aus..
    Der abgebildete See ist leider nicht der Kalksee sondern der Falkensee.
    Aber ansonsten wie beschrieben ist es herrlich die Zeilen zu lesen.
    Alles Gute weiterhin.

    M. V. Woltersdorf

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