Kultur & Geschichte,  Spaziergänge

Ihr letzter Weg: Audiowalk durch Moabit

Nachdem ich vor ein paar Tagen schon mit einem Audioguide um den Ober- und den Orankesee spaziert war, hatte ich direkt Lust, einen weiteren auszutesten. Seit 2020 gibt es mit „Ihr letzter Weg“ einen kostenlosen Audiowalk, der zu Gedenkorten in Moabit führt. Angefangen bei der ehemaligen Synagogen in der Levetzowstraße bis hin zum Mahnmal am einstigen Güterbahnhof Moabit, von wo tausende Jüdinnen und Juden in den Tod geschickt wurden.

Einleitung in den Audiowalk

Warum Moabit und was hat es mit dem Titel „Ihr letzter Weg“ auf sich? Das erfahrt ihr während der Einleitung in den Hörspaziergang, den ihr euch auch vorab auf deren Homepage herunterladen könnt – oder unterwegs einfach streamen. 1933 hatte Berlin 160.000 Einwohner*innen jüdischen Glaubens. In den folgenden fünf Jahren wurden ganze 1.400 Gesetze erlassen, die sie praktisch vom Leben in der Hauptstadt ausschlossen und schikanierten. Im Oktober 1941 begannen dann die Deportationen in die Vernichtungslager in Osteuropa – allein 30.000 wurden vom Güterbahnhof Moabit deportiert, viele von ihnen wurden vorab im Sammellager in der Synagoge Levetzowstraße interniert. Von dort mussten sie dann den Gang Richtung Bahnhof antreten. Entlang dieser Strecke erhaltet ihr Hintergrundinformationen sowie Zeitzeugenberichte zu Gebäuden, jüdischen Einwohner*innen, Gedenkstätten und Menschen im Widerstand.

Gedenktafel Synagoge Levetzowstraße

Mahnmal Levetzowstraße

Wo von 1912 bis 1914 eine Synagoge mit über 2.000 Sitzplätzen errichtet wurde, findet ihr heute einen Spielplatz und ein mehrteiliges Mahnmal. Dieses erinnert mit einem Güterwaggon und Gleisen Richtung Osten und einer Stele an die Deportationen, die hier im Sammellager ihren Anfang nahmen.

Ihr letzter Weg: Mahnmal Levetzowstraße
Waggon Mahnmal Levetzowstraße

Zudem wurden in den Boden Platten eingelassen, die an die 34 größten Berliner Synagogen erinnern. Während ihr euch hier umseht, könnt ihr euch die ersten der 4 Kapitel der Audiowalks anhören. Etliche begingen in der Synagoge Suizid, da sie ahnten, was sie erwartete. Die anderen wurden am hellichten Tag zu tausenden Richtung Bahnhof getrieben – und die Anwohner*innen sahen zu. Dass so viele später ihr Unwissen beteuerten, ist ein Hohn, wenn man sich die Geschichten anhört.

Richtung Heilandskirche

Von da an erhaltet ihr am Ende jedes Kapitels eine Wegbeschreibung, der ihr dann folgen könnt. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, kann sich aber auch den Plan mit den Stationen vorab ausdrucken. Während ihr die Jagowstraße entlang geht, lauscht ihr etlichen Schicksalen wie dem der Familie Sally Gottfeld oder des Ehepaares Elias und Therese Hirsch.

Stolpersteine Jagowstraße

Auf der Straße Alt-Moabit seht ihr den Schacht eines ehemaligen Luftschutzkellers, der wie so viele andere die Bevölkerung in Sicherheit wiegen sollte, einem Bombeneinschlag jedoch ohnehin nicht standhalten konnte. Direkt gegenüber starben etliche Anwohner*innen in einem solchen „Schutzraum“. Gebaut wurden viele davon von jüdischen Zwangsarbeiter*innen – ihnen wurde der Zugang jedoch meist verwehrt.

Ihr letzter Weg
Ehemaliger Luftschutzkeller

Während ihr von dort auf die Heilandskirche zulauft, gibt es interessante Infos über den Pfarrernotbund und die Bekennende Kirche, die sich gegen die Gleichschaltung der Nationalsozialisten stellte. Zwei der unliebsam gewordenen Pfarrer der Moabiter Kirche wurden wegen ihres Engagements als Soldaten an die Front geschickt.

Heilandskirche Moabit

Ehemaliges Krankenhaus Moabit

Die eigentliche Deportationsstrecke führt über die Lübecker Straße, die Audioführung verläuft allerdings parallel dazu über das Gelände des ehemaligen Krankenhauses Moabit. Die dortigen jüdischen Ärzte wurden teilweise direkt aus dem Operationssaal abgeführt und von den Nazis durch unerfahrene Parteigenossen ersetzt. Das einst renommierte Krankenhaus musste monatelang die Gynäkologie schließen, weil es kein Personal mehr gab und Pfuschern starben reihenweise Patient*innen unter den Händen weg. Doch nicht alle verbliebenen Mitarbeiter*innen sahen weg. Es bildete sich eine Widerstandsgruppe rund um den Arzt Georg Groscurth. Dieser und einige andere bezahlten dafür mit ihrem Leben.

Einige der Gebäude des weitläufigen Areals haben den Zweiten Weltkrieg überstanden und es lohnt sich, sich noch etwas länger umzusehen. Vor den historischen Bauten wurden Infostelen aufgestellt, die weitere Einblicke in die Geschichte des Ortes geben. Ich bin hier relativ lange rumgelaufen. Auch, weil es hier viel ruhiger war, als an den trubeligen Straßen, die ich bisher passiert habe.

Krankenhaus Moabit

Ganz hinten rechts führt die Strecke durch eines der Gebäude durch, wo man für die ehemaligen jüdischen Mitarbeiter*innen zwei Gedenktafeln anbrachte.

Ihr letzter Weg Audiowalk
Wegweiser Audiowalk
Ihr letzter Weg: Krankenhaus Moabit
Gedenktafel Krankenhaus Moabit

Gedenkstätte Güterbahnhof Moabit

Während ihr zur letzten Station weiter lauft, könnt ihr euch anhören, wie das Leben in der Illegalität für untergetauchte Jüdinnen und Juden zu dieser Zeit aussah. In diesem Kapitel kommen besonders viele Zeitzeug*innen zu Wort. Man schätzt, dass etwa 2.000 von ihnen mit einem Netzwerk an Helferinnen und Helfern auf diese Weise in Berlin überleben konnten. Doch für unzählige andere endete ihr bisheriges Leben am Güterbahnhof Moabit. Erst 2017 errichtete man dort nach langer Planungsphase einen Gedenkort.

Ihr letzter Weg: Gedenkort Güterbahnhof Moabit
Kiefernhain am Gedenkort
Ihr letzter Weg: Gedenkort Güterbahnhof Moabit
Gleis 69 Berlin

Er besteht aus den historischen Überresten von Gleis 69, einem Hain aus 20 Waldkiefern sowie zwei Tafeln aus Roststahl. Hier endet der Audiowalk „Ihr letzter Weg“ mit einem Text von Erich Kästner über seinen hingerichteten Freund Erich Knauf. Allerdings enthält das Kapitel hier einen Fehler. Man verweist darauf, dass Knauf der Schöpfer der Bildergeschichten von Vater und Sohn ist – diese stammen allerdings vom dritten Erich im Bunde: Erich Ohser, der gemeinsam mit Knauf verhaftet wurde und in Gefangenschaft den Suizid wählte.

Falls ihr von hier zur S-Bahnstation Westhafen lauft, seht ihr auf der Putzlitzbrücke auch noch das Mahnmal von 1987, auf das 1992 ein Sprengstoffanschlag verübt wurde.

Mahnmal Putlitzbrücke
Mahnmal Putlitzbrücke

Ihr letzter Weg – schwere Kost

Natürlich hatte ich mir von dem Spaziergang keinen Spaß erhofft, aber die Audiotour nimmt einen insgesamt wirklich mit. Trotzdem oder gerade deswegen hoffe ich, dass viele sich das anhören und ansehen. Um es mit den Worten des Schriftstellers Primo Levi zu sagen, die ich unterwegs zufällig entdeckt habe: „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen“!

Plakat Gedenkveranstaltung

Ihr sucht mehr kostenlose Kultur in Berlin? Dann macht beispielsweise auch den gratis Audiowalk „Brecht stirbt“.

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