Kultur & Geschichte,  Spaziergänge

Brecht stirbt: rauschhafter Audiowalk durch Mitte

Als „ein Spiel zwischen Traum und Realität“ und „eine Reise ins Innere“ wird der kostenlose Audiowalk auf den Spuren Bertolt Brechts auf der Seite des Berliner Ensembles angepriesen. Das klang für mich schon mal vielversprechend. Noch spannender fand ich, dass man bei diesem Spaziergang auch vier Frauen aus dem Leben des Dramatikers begegnet. Aber lohnt sich das? Ich habe den Hörspaziergang „Brecht stirbt“ ausgetestet.

Start: Dorotheenstädtischer Friedhof

Per Mail bekommt ihr alles Nötige zugesendet, nicht nur die Audiodatei, sondern auch eine genaue Beschreibung des Startpunktes. Eure Reise beginnt dort, wo nicht nur Brecht selbst und seine Ehefrau Helene Weigel begraben sind, sondern auch drei der anderen Frauen im Leben des Lyrikers, der kein Kind von Traurigkeit war: Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau und Isot Kilian. Mit Blick auf eine blassgelbe Urnenwand könnt ihr den Hörspaziergang starten, der dank der Stimmen mehrerer Ensemblemitglieder weit mehr ist – ein Hörtheater quasi.

Urnenwand Dorotheenstädtischer Friedhof

Als Einführung erfahrt ihr, dass der Hörspaziergang des Künstler*innen-Kollektivs Raum + Zeit auf Grundlage eines sensationellen Fundes während Corona entwickelt wurde: ein bisher unbekanntes Schriftstück Brechts, in dem er beschreibt, wie er durch Berlin zum Theater läuft. Was nicht direkt klar wird – der Sensationsfund ist reine Fiktion. Und schon seid ihr mittendrin in den Gedanken Brechts und hört, wie aus den Gräbern die Stimmen seiner Geliebten zu ihm dringen. Ich war schon so versunken, dass ich kaum auf die Wegbeschreibung achtete und direkt hatte ich mich noch auf dem Friedhof verfranst. Das Berliner Ehrengrab von Weigel und Brecht konnte ich mit etwas Hilfe dann aber doch noch finden. Was für ein Glück, dass ich immer einen Kuli in der Tasche habe …

Brecht stirbt Ehrengrab
Ehrengrab von Weigel und Brecht
Brecht stirbt Ehrengrab
Kleine Ehrerbietung

Es scheint in Berlin an einigen Prominentengräbern solche Traditionen zu geben. Auf dem Grab von Loriot jedenfalls tummeln sich dutzende Quietscheentchen.

Durch Mitte mit Brechts Frauen

Direkt neben dem Friedhof steht das unscheinbare Brecht-Haus, aus dessen Fenster Helene Weigels Stimme ertönt und ihn antreibt. Ebenso wie es auch die anderen drei tun. Sie treiben ihn weiter Richtung Theater, während er sich über die Stadt, Reklame und Bauwerke wundert: „Wer hat denn diese Scheußlichkeit gebaut?“ … „Gebaute Lebensmüdigkeit, gebaute Depression!“

Gebaute Depression

Durchzogen wird das Hörspiel „Brecht stirbt“ von zwei roten Fäden: den Frauen, die zuerst freundlich, dann immer forscher und fordernder ihren gerechten Anteil an Brechts Erfolg wollen, und dem Sozialismus, den er versucht zu entdecken, der aber doch immer nur ein grotesker Witz zu sein scheint. Je länger ihr geht, desto intensiver wird das Stück, desto eindringlicher die Stimmen. Rund um die Charité habe ich mich direkt nochmal verlaufen, weil mein Kopf schon so schwirrte, dass ich mich kaum auf den Weg konzentrieren konnte.

Zwischenspiel am Karlplatz

Eine kurze Verschnaufpause gibt es am Karlplatz, wo eine Gedenktafel mit dem Brechtgedicht „Die Pappel vom Karlsplatz“ steht. Karlplatz – Karlsplatz … leichte Verwirrung, aber schon werdet ihr weitergetrieben …

Letzter Abschnitt: Vorwärts, schneller!

Irgendwann sprechen Weigel, Hauptmann, Berlau und Kilian im Chor, immer lauter. Sagen Brecht, dass sein Schlussapplaus wartet: „Los, Mensch! Vorwärts! Schneller, rechts lang, schneller!“ Ich konnte gar nicht anders als tatsächlich immer schneller zu gehen, hetzte förmlich, fühlte mich getrieben von den durchdringenden Stimmen – und war richtig froh, als ich am Bertolt-Brecht-Platz ankam.

Brecht stirbt BE
Berliner Ensemble
Brecht stirbt Brechtstatue
Brecht-Statue

Brecht stirbt – ein Muss

Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass ein Hörspaziergang ein so intensives Erlebnis sein kann. Den größten Anteil daran haben sicherlich die grandiosen Sprecher*innen des Ensembles, deren Stimmen sich einem förmlich ins Gehirn bohren. Es ist allerdings auch anstrengend. So viele Eindrücke und dann noch den Weg finden und auf den Verkehr achten. Am Ende ließ ich mich auf eine der gelben Bänke am Bertolt-Brecht-Platz plumpsen und war total berauscht, hatte aber auch Kopfschmerzen. Ich kann nur sagen: Macht den Spaziergang unbedingt, es lohnt sich!

Ihr bekommt die Audiodatei auf Anfrage zugeschickt, zeitlich ist der Hörspaziergang an die Öffnungszeiten des Friedhofs gebunden – alle nötigen Infos bekommt ihr auf der Homepage des BE.

Lust auf mehr kostenlose Audiowalks? Dann schaut mal bei Hörenschönhausen oder „Ihr letzter Weg“ vorbei. Außerdem kann ich euch die Führung durchs Berliner Ensemble sehr empfehlen.

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