Frauentag in Berlin – eine Spurensuche
2019 wurde der Frauentag in Berlin zum gesetzlichen Feiertag. Damit ist die Hauptstadt aber nur in Deutschland Vorreiter – bereits 26 Staaten wie etwa Eritrea, Uganda, Moldau und Laos führten diesen schon deutlich früher ein. Dabei geht er auf die Initiative Clara Zetkins zurück. Die deutsche Sozialistin forcierte einen solchen Kampftag für Frauenrechte bereits 1910. Erstmals begangen wurde er am 19. März 1911 in mehreren Ländern. Dieses Jahr lud die Amnesty-International-Aktionsgruppe gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen zu einer historischen Spurensuche rund um politisch engagierte Frauen in der Hauptstadt ein.
Spannende Geschichte: Frauentag in Berlin
Für die Führung konnten sie die Expertin für Berliner Frauengeschichte gewinnen: Claudia von Gélieu von Frauentouren. Von dieser stammt auch die Broschüre zum Frauentag in Berlin sowie das Buch „Hexen, Salonièren, Girls. Berliner Frauengeschichte erzählt“.
Beides auf jeden Fall sehr lesenswert. Besonders spannend: Beim ersten Frauentag 1911 fanden in ganz Deutschland hunderte Veranstaltungen und Demonstrationen statt. In Preußen allerdings waren Demonstrationen verboten. Was machten die findigen Berliner Frauen? Sie luden in der gesamten Stadt zu Versammlungen ein und zogen gemeinsam von Versammlungsort zu Versammlungsort, sodass sich auf den Bürgersteigen demogleiche Menschenschlangen bildeten. Gefällt mir! Der preußischen Polizei nicht und sie verhaftete einige der Teilnehmerinnen. Beteiligt war übrigens nur der proletarische Flügel der Frauenbewegung.
Im nächsten Jahr gab es zum Frauentag in Berlin gleich sieben Großkundgebungen und es beteiligten sich noch weit mehr Frauen als im Jahr zuvor. Sie verteilten dabei ganze 1,5 Millionen Flugblätter. Zwei Jahre später begann der Erste Weltkrieg, der zu einer weiteren Spaltung der Bewegung führte. Entschieden gegen den Krieg positionierten sich vor allem Clara Zetkin und Rosa Luxemburg.
Start der Führung: Frauen & Frieden
Treffpunkt mit der Gruppe war am Alexanderplatz. Dort gab es nicht nur eine Einführung zur spannenden Geschichte des Frauentages, sondern auch zum Thema Frauen & Frieden.
Hier fanden 1915 ebenso wie vor dem Reichstag und Unter den Linden trotz Demonstrationsverbotes Antikriegskundgebungen statt. An diesen beteiligten sich hunderte Frauen, obwohl die berittene Polizei sie immer wieder mit Säbeln auseinander trieb. Der Ort ist zudem eng verbunden mit den „Frauen für den Frieden“, die hier 1983 gegen das neue Wehrdienstgesetz der DDR protestierten. In der sogenannten Postaktion liefen etwa 40 von ihnen am 17. Oktober vom Alex zum Postamt, um ihre Wehrdienstverweigerungen gemeinschaftlich an das zuständige Wehrbezirkskommando abzuschicken. Mehrere von ihnen wurden dabei von den Sicherheitsbehörden festgenommen.
In dem Moment fuhr an uns eine Tram vorbei, die vollständig mit Werbung für die Bundeswehr beklebt war. „Mach, was wirklich zählt“ stand groß darauf. Die Meinungen darüber, was das sein könnte, gehen wohl gerade jetzt ziemlich weit auseinander.
Nächster Halt: Rosa-Luxemburg-Platz
Wir spazierten weiter und sahen schon von Weitem die Fahnen mit Friedenstauben, die derzeit über der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wehen.
Seit 2006 befinden sich dort zudem Denkzeichen, die an die Gedankenwelt der KPD-Mitbegründerin und Namenspatronin des Platzes erinnern. In den Boden eingelassen und bis zu 7 Meter breit, findet ihr hier über 100 Stück davon. Viele zeigen Luxemburgs Einstellung zum Krieg und sind nach wie vor lesenswert. Leider sind sie unmöglich auf ein Foto zu bekommen – schaut sie euch unbedingt mal an, wenn ihr in der Nähe seid.
Dauerthema Paragraf 218
Schräg gegenüber der Volksbühne befindet sich das traditionsreiche Kino Babylon. Hier fand im Mai 1930 die Premiere des Filmes „Cyankali“ statt – ein Manifest gegen den Abtreibungsparagrafen 218, das bereits 1929 ein großer Berliner Bühnenerfolg war. Die junge Hete stirbt darin nach einer missglückten Abtreibung durch eine Kurpfuscherin einen qualvollen Tod. Ein Schicksal, das in den 1920ern jährlich bis zu 10.000 Frauen und Mädchen in Deutschland traf!
Bei einer Aufführung im Lessingtheater war Erich Kästner anwesend und schrieb darüber: „Am Schluss der ‚Cyankali‘-Aufführung, die ich besuchte, schrie eine Stimme vom Balkon: Nieder mit dem Paragrafen 218! Und ein tumultartiger Chor von Mädchen– und Männerstimmen rief: Nieder mit ihm, nieder, nieder!“* Unglaublich, dass das Thema immer noch ein riesiger politischer Zankapfel ist – erst vor wenigen Tagen wurde endlich die Abschaffung des Werbeverbotes für Schwangerschaftsabbrüche (§219a) beschlossen.
Autor des Stückes war der Arzt Friedrich Wolf, der sich öffentlich gegen den Abtreibungsparagrafen stark machte. Ebenso wie die Ärztin Else Kienle, wurde er der gewerbsmäßigen Abtreibung beschuldigt und 1931 verhaftet. Nach Massenprotesten kamen sie jedoch wieder frei. Eine Mitstreiterin der beiden war die Frauenrechtlerin Helene Stöcker, die bereits 1905 den „Bund für Mutterschutz und Sexualreform“ gründete. Dieser setzte sich nicht nur für die Rechte lediger Mütter ein, sondern verwies auch auf die sexuellen Bedürfnisse von Frauen jenseits des Kinderwunsches. Damit stieß sie damals allerdings auch innerhalb der Frauenbewegung auf viel Gegenwind.
Durchs Scheunenviertel zur Rosenstraße
Wir legten noch zwei Stationen im Scheunenviertel ein, bevor wir mit Blick auf die S-Bahngleise Spannendes über den Beginn der Bahnhofsmission erfuhren. Im ausgehenden 19. Jahrhundert kamen viele allein reisende junge Mädchen und Frauen über den Ostbahnhof nach Berlin, um hier ihr Glück zu suchen. Doch viele sprachen kein Deutsch und gerieten in die Hände von Zuhältern – der Traum von einer Anstellung als Dienstmädchen endete für viele in der Prostitution.
Ab 1894 verteilten Frauen Flugblätter an die Ankommenden, um sie in mehreren Sprachen (damals ein absolutes Novum) vor zwielichtigen Angeboten zu warnen. Leider eine weitere Episode, die nach wie vor aktuell ist, denn auch die geflüchteten Frauen aus der Ukraine müssen derzeit vor solchen geschützt werden.
Einige Jahre später wurde das Engagement unter anderem auf obdachlose Männer ausgeweitet – heute gibt es die kostenlosen Anlaufstellen an über 100 Bahnhöfen in Deutschland.
Kurz darauf erreichten wir die Rosenstraße, wo 1943 hunderte Frauen für die Freilassung ihrer jüdischen Männer protestierten. Über die berührende Geschichte und die dortigen Denkmale habe ich kürzlich schon einen eigenen Rosenstraßen-Artikel geschrieben. Ein wunderbares Beispiel dafür, dass friedlicher Protest zum Erfolg führen kann!
Frauengeschichte und Frauentag in Berlin – Fazit
Zum Frauentag gab es in Berlin dieses Jahr ein breites Angebot, aber ihr müsst natürlich nicht bis nächstes Jahr warten, wenn ihr euch für Frauengeschichte interessiert. Die Broschüre von Claudia von Gélieu könnt ihr euch auf der Seite der Berliner Landeszentrale für politische Bildung herunterladen. Zudem gibt es jeden Monat mehrere Führungen von Frauentouren. Eine habe ich schon begleitend zum Filmfest FrauenWelten besucht.
*Zitat übernommen von: https://www.deutschlandfunk.de/paragraf-218-auf-der-buehne-100.html, das Original findet ihr in: „Neue Leipziger Zeitung“ 14.9.1929.