Kultur & Geschichte

Schneider Brauerei: Bunker, Bier und Fledermäuse

Wie jedes Jahr wollte ich am Tag des offenen Denkmals so viel wie möglich mitnehmen. Das Programm war umfangreich wie nie und die Entscheidung schwer! Und wie immer schaffte ich am Ende genau eine Veranstaltung. Aber die hat sich wirklich gelohnt: die Schneider Brauerei bzw. die heutige Musikbrauerei im Prenzlauer Berg war für mich eine absolute Neuentdeckung. Für das Event hat sich der Besitzer Jens Reule-Dantas einiges einfallen lassen.

Schneider Brauerei / Musikbrauerei Berlin
Schneider Brauerei im Prenzlauer Berg

Anekdoten und Mythen

1888 erwarb die Familie Schneider das Areal, das heute verborgen hinter einer Häuserzeile der Greifswalder Straße liegt. Sie brauten ausschließlich für umliegende Kneipen und ihren eigenen Biergarten – ein frühes Berliner Craft Beer sozusagen.

Direkt beim Betreten des Gebäudes weht mir der typisch muffige Kellerduft entgegen, der immer Erinnerungen an das Häuschen meiner Großmutter weckt. Über mehrere Treppen und Gänge gelangt die Gruppe von Interessierten in die acht Meter hohe Säulenhalle. Das Backsteingewölbe hat mit seinen Spuren der Zeit einen besonderen Charme. Hier gibt es erstmal einen langen Vortrag. Reule-Dantas scheint ein echter Kenner zu sein, allerdings nicht nur seiner Brauerei, sondern auch des gesamten Kiezes. Man merkt, dass die alte Anlage für ihn ein Herzensprojekt ist.  Er beamt alte Karten von Berlin an die Wand, zeigt historische Luftaufnahmen und erzählt von Ausgrabungsfunden wie alten Bierflaschen und Granatsplittern. 

Schneider Brauerei / Musikbrauerei Berlin
Säulenhalle in der Musikbrauerei Berlin

Besonders spannend sind die Anekdoten und Mythen aus den 30er Jahren. Im nahen Saalbau Friedrichshain lieferten sich einst Reichspropagandaminister Joseph Goebbels  und KPD-Leiter Walter Ulbricht ein legendäres Rededuell. Bei den anschließenden Ausschreitungen soll Goebbels aus dem Fenster geflohen sein. Allerdings habe Reule-Dantas auch einen Tunnel gefunden. Der könnte als Fluchttunnel gedient haben und endet direkt im Fahrstuhlschacht der Brauerei. An den Wänden der Säulenhalle zeigt er die Spuren, die bei einem Bombenangriff auf Goebbels Wohnquartier 1945 entstanden.

Kampf gegen Gentrifizierung

Auch der jahrelange Rechtsstreit um das Areal und die Gentrifizierung im angrenzenden Schweizer Garten sind Thema. Dort wo einst Karussells und Riesenrad in einer grünen Parkanlage den Hauptstädtern zur Naherholung dienten und für vergnügliche Stunden sorgten, mussten die Bäume einigen übertrieben schicken Neubauten weichen. Eine weitere Bebauung rund um die Musikbrauerei wurde dank eines historischen Eiskellers verhindert. Der letzte seiner Art in der Innenstadt wurde als Denkmal ausgewiesen und steht damit unter Schutz.

Bunkertour mit Schauspielern

Nach einer kleinen Einlage des Zauberers Santini werden wir von uniformierten Wehrmachtssoldaten abgeholt und in die Tiefen des Bauwerks mitgenommen. Die vier Kellergewölbe liegen 15 Meter unter den Hallen des Erdgeschosses. Während des Zweiten Weltkrieges dienten sie der Bevölkerung als Schutzbunker. Die Geschichten von weinenden Kindern oder Bomben mit Verzögerungszünder sorgen für reichlich Beklemmung. Ebenso wie die ausgestellten Artefakte aus dem Krieg wie Helme mit Einschusslöchern oder historische Bunkerbetten. Man kann nur hoffen, dass sich hier in der Eventlocation in Zukunft außer Raves nichts mehr ereignen wird.

Schneider Brauerei: Mahnmal mit Aussicht

Die letzte Station der Veranstaltung des Abends führt auf das Dach, das eine Wurfgranate zerstörte. Es wurde bisher nicht restauriert, denn Reule-Dantas ist es wichtig, dass die Mahnmalsilhouette der Brauerei erhalten bleibt. Durch die Ruinenreste kann man den Fernsehturm sehen und im Dämmerlicht flattern Fledermäuse über unseren Köpfen.

Blick auf den Fernsehturm vom Dach der Musikbrauerei

Hier bekommen wir noch Spannendes aus der Bierhauptstadt Berlin und den Vorgang der Gärung zu hören. Ganze 16 Brauereien gab es einst allein im Prenzlauer Berg, denn der war durch seine Hanglage geradezu zur Herstellung von Lagerbier prädestiniert. Warum eigentlich so viel Bier getrunken wurde damals? Bei der Frage gerät der Besitzer direkt ins Philosophieren. Bier war haltbar und reiner als Wasser. Außerdem musste man ja nicht so alt werden wie heute, da konnte man ruhig viel trinken. Über seine gewagte These muss er dann aber doch auch ein bisschen lachen. Wer weiß, vielleicht lag es auch einfach daran, dass so leidenschaftlich gebraut wurde. Jedenfalls starben wohl etliche Brauer vor Ort im Gärbottich.

Nutzung als Musikbrauerei

Heute befindet sich in dem Gebäude übrigens ein Tonstudio. Reule-Dantas outet sich als großer Verfechter analoger Musik. Vorausgesetzt sie ist gut gemacht, aber das hat sie natürlich mit digitaler Musik gemeinsam. Die Hallen werden dank ihrer guten Akustik heute gerne für Konzerte und Musikvideos genutzt und auch als Filmset haben sie bereits gedient. Unter anderem entstanden hier Teile des Films „Ich und Kaminsky“ mit Daniel Brühl.

Fazit zum Tag des offenen Denkmals in der Schneider Brauerei

Ganze zweieinhalb Stunden dauerte das Event, das wie die meisten Veranstaltungen zum Tag des offenen Denkmals kostenlos war. Vor allem für Geschichtsinteressierte kann ich einen Besuch im nächsten Jahr absolut empfehlen. Die Musikbrauerei war 2021 bereits zum fünften Mal dabei und wird es hoffentlich auch weiterhin sein. Stattfinden wird der Aktionstag 2023 am 09. und 10. September. Unbedingt vormerken! Eine weitere Brauerei, die bisher immer dabei war: die Malzfabrik.

Ihr sucht weitere Angebote gratis in Berlin? Dann ist vielleicht der Escape Room in der Bibliothek Luisenbad was für euch. Oder schaut euch an, was ich 2022 am Tag des offenen Denkmals unternommen habe.

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