Kultur & Geschichte

Buttgereit und Nosferatu

Inzwischen ist es über 100 Jahre her, dass der Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau mit „Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens“ sowohl das Horror- als auch das Vampirfilmgenre begründete. Die hagere Gestalt mit dem gruseligen Gesicht und den langen Klauenfingern wurde 1922 zum Publikumsalbtraum und ist bis heute unvergessen. Zum Jubiläum des Klassikers präsentiert die Sammlung Scharf-Gerstenberg derzeit die Ausstellung „Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu“, durch die am 26.01. der Splatter-Regisseur Jörg Buttgereit geführt hat. Zu geil, oder? Das wollte ich mir um keinen Preis entgehen lassen!

Friedrich Wilhelm Murnau

Bevor ich euch erzähle, wie exzentrisch jemand ist, der in den 1980ern Streifen wie „Nekromantik“ gedreht hat, gibt es ein paar Infos zum Regisseur von „Nosferatu“. Bei seiner Geburt am 28.12.1888 hieß Friedrich Wilhelm noch Plumpe mit Nachnamen und wuchs in Bielefeld in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Nach seinem Schulabschluss kommt er 1907 nach Berlin zum Philologiestudium, das er bereits 1909 Richtung Heidelberg wieder verlässt. Er schließt sich einer Studentenbühne an, wo er von keinem Geringeren als Max Reinhardt entdeckt und 1912 nach Berlin zurückgeholt wird. Seine Schauspielkarriere wird vom Ersten Weltkrieg unterbrochen, zu dem sich Murnau freiwillig meldet. Nach einem Einsatz an der Ostfront geht er zur Luftwaffe und wird 1917 nach einer Notlandung in der Schweiz interniert. In der Zeit schreibt er sein erstes Filmmanuskript. Der Rest ist Geschichte: 1919 dreht er seinen ersten Spielfilm, 1922 dann Nosferatu, sein wohl größtes Meisterwerk. 1925 verlässt er Deutschland und zieht in die USA, wo er 1931 an den Folgen eines Autounfalls verstirbt. An seinem ehemaligen Wohnhaus im Grunewald (Douglasstraße 22), in dem heute eine Burschenschaft residiert, erinnert eine Gedenktafel an die Filmgröße. Und natürlich gibt’s auch ein Sternchen am Potsdamer Platz.

Ehemaliges Wohnhaus Murnaus

Gruselklassiker Nosferatu

Sein Film feierte am 4. März 1922 Premiere im Marmorsaal am Zoologischen Garten. Schon im Jahr zuvor rührten die Produzenten Albin Grau und Enrico Dieckmann kräftig die Werbetrommel. Das Werbebudget überstieg sogar die Kosten der Produktion selbst.

Werbeplakate von 1922

Die Story des Films war allerdings nicht unbekannt: Graf Orlok, ein Vampir aus den Karpaten … Mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen, oder? Die Geschichte hatte sich Bram Stoker ausgedacht und eine Genehmigung für eine Adaption war nicht vorhanden. Das führte dazu, dass dessen Witwe gegen die Produktion klagte und der Film 1925 vernichtet werden musste. Allerdings betraf das nur die Rollen in Deutschland, Nosferatu war zu dem Zeitpunkt bereits in etlichen anderen Ländern erschienen. Für die Produktionsfirma Prana war der Urheberrechtsstreit dennoch das Ende

Aber was war eigentlich das Neue, Wegweisende an dem Film? Zum einen wurde an etlichen Außenschauplätzen gedreht – das Team reiste sogar bis in die Karpaten. Zum anderen waren die gewählten Stilmittel neu: Licht und Schatten wurden auf bisher ungeahnte Weise eingesetzt. So wirkte Nosferatu-Darsteller Max Schreck (nomen est omen) noch gruseliger. So grauenhaft, dass nicht wenige überzeugt waren, es handle sich um einen echten Vampir. In Berlin könnt ihr ihn auch immer wieder auf der Leinwand sehen, beispielsweise im Kultkino Babylon.

Stummfilmfestival 2022 in Berlin

„Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu“

Die Ausstellung in der Charlottenburger Sammlung Scharf-Gerstenberg, die ihr noch bis zum 23. April 2023 sehen könnt, beleuchtet die Beziehung dieser Ikone der Populärkultur zur bildenden Kunst.

Nosferatu-Fahnen in Charlottenburg

Bezüge werden zu idyllischen Szenerien der deutschen Romantik gezogen, aber auch zu Motiven der Sehnsucht und Einsamkeit. Vor allem Surrealisten nahmen häufig Bezug auf die Motive des Films. Die Ausstellung verzichtet allerdings vollständig auf erklärende Texte – wie man hier ohne Führung oder den begleitenden Katalog durchblicken soll, ist mir nicht klar. Nur gut, dass ich eine Karte für die wahrscheinlich coolste Führung ergattern konnte …

Mit Jörg Buttgereit durchs Museum

Ein besonders bunt gemischtes Publikum hatte sich im Foyer eingefunden: jung, alt, schick, leger oder gar im Biedermeier-Outfit. Am unauffälligsten unter allen schien mir Buttgereit selbst in seinem Alien-Shirt zu sein. Was hatte ich erwartet von einem Regisseur, der einen der ekligsten Filme gedreht hat, die ich in meiner Splatter-Phase in den 90ern gesehen hab? Jedenfalls nicht den Normalo, den ich hier an dem Abend erlebt habe. Heute ist der – wie er sich selbst vorstellte – „per Gericht attestierte Künstler“ ohnehin weit mehr als der Macher leicht abartiger Streifen: Comic- und Hörspielautor, Filmjournalist und mehr.

Buttgereit und Nosferatu
Buttgereit erklärt Bezüge zum Okkultismus

Infos zur Ausstellung selbst bekamen wir übrigens von einer der Kurator*innen der Ausstellung: Kyllikki Zacharias. Buttgereit hatte die Schau bis dato noch gar nicht gesehen und gab eher persönliche Eindrücke und Anekdoten zum Besten, was insgesamt eine kurzweilige Mischung ergab. Besonders oft war von dem Nosferatu-Remake von Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle die Rede. Ein Werk, das Buttgereit Herzogs Größenwahn zuschrieb. Nur ihm hätte es gelingen können, sich an einem heiligen Gral zu vergreifen und dafür auch noch gelobt zu werden.

Buttgereit und Nosferatu
Berühmte Szene

Interessant ist auch die Entwicklung von Vampirfiguren im Film. Während Max Schreck noch eine tatsächliche Schreckgestalt war, wurde Dracula danach immer mehr zum Verführer, von dem eine erotische Ausstrahlung ausging. Eine Wandlung, die schon 1931 mit Bela Lugosi begann. Spätestens bei Brad Pitt und Tom Cruise sehe ich es dann auch so.

Ich könnte noch ewig weitererzählen. Von den 20.000 Ratten, die Herzog aus Osteuropa für seinen Dreh kommen ließ – die waren dummerweise alle weiß und wurden darum mit Wella eingefärbt. Oder davon, dass Buttgereit tatsächlich Angst vor Blut hat … das hätte ich jetzt auch eher nicht vermutet. Jedenfalls hatte ich einen wirklich tollen Abend und die Erkenntnis: auch ein Splatter-King kocht nur mit heißem Wasser.

Nosferatu – hingehen oder nicht?

Da die Ausstellung ohne Texte konzipiert wurde, weiß ich nicht, wieviel mir ein normaler Besuch gebracht hätte. Zacharias ging beispielsweise auch auf die antisemitischen Motive ein, die sich in dem Film finden – ein Aspekt, der Besucher*innen ansonsten gar nicht auffällt. Außer vielleicht, wenn man sich den Katalog kauft. Auch der Bezug der einzelnen Kunstwerke zum Film ist nicht unbedingt selbsterklärend. Ich würde euch den Besuch also eher im Rahmen einer Veranstaltung empfehlen. Die umfangreiche Liste gibt es hier. Dreimal täglich könnt ihr den Film übrigens kostenfrei im Museum ansehen – da gehe ich definitiv auch noch hin.

Ihr interessiert euch für die Frühzeit des deutschen Kinos? Dann lest doch auch noch meinen Artikel über Asta Nielsen in Berlin. Gruselfans interessiert aber vielleicht auch die weiße Frau.

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