
silent green Berlin: Vom Krematorium zum Kulturort
In Berlin verstecken sich so unglaublich viele Orte mit Geschichte! Einer davon ist das silent green Kulturquartier, das sich in einem außergewöhnlichen Gebäude angesiedelt hat: dem ehemaligen Krematorium Wedding. Ich war über mein Kulturabo Abundo darauf aufmerksam geworden, wollte mehr wissen und hab entdeckt, dass Führungen angeboten werden. Mal wieder ein echter Geheimtipp-Glücksgriff! Gespannt? Dann kommt mit …


Kleiner Geschichtsritt durch Dies & Das
Das Portal vorne an der Straße ist recht unscheinbar, aber einmal drinnen, eröffnet sich euch ein ungewöhnlicher Anblick. Ein kleiner Park und am Ende ein Bauwerk, dem ich nicht wirklich hätte zuordnen können, wofür es mal gebaut wurde.

Auf der Wiese gab es dann zu Beginn einen geschichtlichen Rundumschlag, der bei Karl dem Großen begann. Der hatte nämlich im Jahr 786 Feuerbestattungen verboten. Und dieses Verbot hatte wirklich lange Bestand, viel länger als man sich das vielleicht so vorstellen würde, wenn man überhaupt jemals darüber nachgedacht hätte. Ich nicht. Zwar erlaubte beispielsweise die katholische Kirche die Feuerbestattung erst ab 1964, dennoch begann man im Zuge freidenkerischer Bewegungen schon im späten 19. Jahrhundert im Kaiserreich mit Einäscherungen und Urnenbestattungen.

Nicht so in Berlin. Hier wurde die Einäscherung erst 1911 offiziell erlaubt. Verrückterweise durfte man schon einige Jahre früher Urnen bestatten, die Einäscherung musste dann aber woanders erfolgen. Und noch eine überraschende Info: Das Krematorium wurde bereits 1909 bis 1910 erbaut, obwohl ja die Verbrennung von Toten noch verboten war. Es sollte erstmal eine Urnen-Feierhalle sein, der Ausbau zum Krematorium war aber bereits mitgedacht – 1912 wurde dieses dann als erstes seiner Art in Berlin eingeweiht.

Und auch wenn das auf dem Foto so aussieht: Der über 50 Meter hohe Schlot qualmt nicht, die Wolke war nur ein schräger Zufall. Früher soll es hier übrigens extrem gestunken haben. Auf dem Hof gab es dann noch Spannendes zur Architektur des Krematoriums und zu den Herausforderungen des Denkmalschutzes – kleiner Spoiler: Ziemlich viel liegt im Ermessen der Bearbeitenden.


Neben Pflanzen, die eigentlich zu hoch waren und trotzdem gepflanzt werden durften, nahm das Denkmalamt auch die Grabplatten im Säulengang ab. Wo die mal hingen, kann man noch deutlich sehen. Beim hübschen Nachkriegsputz gab es allerdings keine Kompromisse, der musste bleiben.

Geschichte des silent green
Die Stilllegung des Krematoriums erfolgte im Jahr 2001, auch eine ziemlich seltsame Geschichte – oder wie unsere Führerin meinte: „Der BER ist in Berlin echt überall“. Es waren nämlich gerade erst neue Öfen angeschafft worden und andere Missplanungen, naja, Berlin! An das silent green wurde der Ort im Jahr 2013 übergeben. Beim Umbau gab es einige Überraschungen. Unter dem Teppich in der Trauerhalle kam beispielsweise ein wunderschöner Terrazzo-Boden mit symbolischen Einlassungen zum Vorschein.


In der Halle selbst war es leider sehr dunkel an dem Tag, weil alles noch für eine Veranstaltung hergerichtet war. Wo einst Trauerfeiern abgehalten wurden und hunderte Urnen standen, finden heute regelmäßig besondere Konzerte statt.

Im Keller unter der Trauerhalle mit ihrer Kuppel waren die Öfen, die inzwischen nicht mehr vorhanden sind, und noch etwas günstigere Urnenplätze. Die Särge wurden von oben über einen Fahrstuhl runtergelassen, die gesamte Anlage war zu ihrer Zeit sehr modern.

Ein weiterer Platz, an dem heute Veranstaltungen und Ausstellungen möglich sind, ist die unterirdische Betonhalle. Beim Runterlaufen hatte man auch tatsächlich das Gefühl, dass man auf dem Weg in einen angesagten Club ist. Früher fuhren hier rückwärts die Leichenwagen runter, die die unten liegende Pathologie belieferten.


Ort für aufstrebende Talente
Das silent green wird übrigens privat betrieben und finanziert. Dem geschäftsführenden Künstlerehepaar war es wichtig, dass hier ein Kulturort für Künstler*innen entsteht, die noch kein Standing haben und darum wenig Geld. Einige der Ateliers werden darum über Stipendien vergeben, die Mieten sind ansonsten aber auch günstig. Unser ehemaliger Kultursenator Klaus Lederer soll mal auf die Frage nach einer Finanzierung gesagt haben, dass die Mieten zu günstig wären. Linkes Gedankengut vom Feinsten … NICHT! Pfff. In der immer teurer werdenden Stadt, in der zunehmend an Kultur gespart wird, erst recht ein wirklich tolles und wichtiges Projekt!

Gut gefallen hat mir auch das Restaurant MARS in einem Seitenflügel. Hier kann man bei schönem Wetter im Biergarten mit Friedhofsblick essen – vielleicht nicht für alle verlockend, ich find’s toll! Was auch nach meinem Geschmack ist: Die Leuchtbuchstaben wurden recycelt und stammen von der traditionsreichen Berliner Firma Osram. (Passend dazu könnt ihr meinen Artikel über das Berliner Buchstabenmuseum lesen).

In den Westflügel zieht übrigens demnächst das Kino Arsenal ein, das letzten Herbst zusammen mit der Deutschen Kinemathek sein Domizil am Potsdamer Platz verlassen musste.
Führung durch das silent green – Fazit
Ein spannender Ort mit Geschichte, an dem heute vielfältige Kultur ein Zuhause gefunden hat. Alle Infos zur Tour und die nächsten Termine findet ihr hier. Ich bin froh, dass ich die anderthalbstündige Führung mitgemacht habe und kann sie euch empfehlen – es gibt dabei natürlich noch viel mehr zu erfahren! Oder ist ein ehemaliges Krematorium eher kein Ort, den ihr gerne besuchen würdet? Schreibt mir gerne in die Kommentare, was ihr davon haltet.
Ihr sucht nach mehr tollen Führungen in Berlin? Ich kann euch die Tour durch das Funkhaus in der Nalepastraße empfehlen. Oder schaut in meine Liste an Führungen durch Berliner Bühnen, da ist bestimmt auch was für euch dabei.

