Kultur & Geschichte

Weihnachten in Berlin: Eine kleine Geschichte

In der Vorweihnachtszeit gibt es hier eigentlich alles: Weihnachtliche Theaterstücke oder Konzerte für Erwachsene oder Kinder, festlich dekorierte Läden und Kaufhäuser, Festbeleuchtung an besonderen Straßen und Plätzen, nostalgische Weihnachtsmärkte ebenso wie von Besinnlichkeit völlig losgelösten Rummel oder Konsumrausch. Tatsächlich ist das alles historisch gewachsen – hier darum eine kleine Geschichte von Weihnachten in Berlin.

Die Anfänge von Weihnachten in Berlin

Stille Nacht, heilige Nacht? Nicht im mittelalterlichen Berlin. Im 14. Jahrhundert verlagerte sich das Fest von den Kirchen in den öffentlichen Raum – und da ging es wohl ganz schön wild zu. Das „Heilig-Christ-Umgehen“ war ein richtiges Volksfest, bei dem sich heidnische Bräuche, Aberglauben und christliche Inhalte zu Mummenschanz und Alfanzereien vermischten. (Zwei geniale Wörter, die man viel öfter wieder nutzen sollte!) Hinzu kamen in den Kirchen jetzt Mysterienspiele, die in Berlin einen ganz eigenen Charakter hatten. Alle Anwesenden waren ein aktiver Teil der Veranstaltungen, die stundenlang dauerten und bei denen außer dem Priester wohl alle ziemlich blau waren. Könnt ihr euch so ein Theatersaufevent heute in der Nikolaikirche vorstellen?

Nikolaikirche aus dem Mittelalter

Was wir heute als mittelalterliche Weihnachtsmärkte so lieben, hat mit dem tatsächlichen Spektakel vermutlich eher wenig zu tun. Bei einem Besuch der Historischen Weihnacht auf dem RAW-Gelände steht man erstmal gesittet in einer mehrere hundert Meter langen Schlange und geht bei den Glühweinpreisen recht nüchtern wieder heim.

Weihnachten in Berlin – Historisch Weihnacht am RAW-Gelände
Historische Weihnacht RAW-Gelände

Geschenke gab es damals übrigens noch keine. Das „Kindleinbescheren“ wurde erst 1545 durch Martin Luther eingeführt.

Preußens Zucht und Ordnung

Katholisch, heidnisch, germanisch, slawisch – den Hohenzollern, die 1415 an der Spree an die Macht kamen, gefiel das Ganze so gar nicht. Im Lauf des 17. Jahrhunderts versuchten sie, Ordnung und Disziplin ins weihnachtliche Treiben zu bringen. Mit dem „Edikt von Cölln“ wurde 1686 die Abschaffung der Umzüge gefordert – die Einwohner*innen ließen sich ihren Spaß allerdings nicht so leicht verderben! Vermutlich handelte es sich für viele Berliner*innen um den Höhepunkt ihres Jahres, der ihnen genommen werden sollte. Es dauerte darum noch rund ein halbes Jahrhundert, bis mit dem Edikt gegen die „Christabend-Ahlfanzereien“ die mittelalterlichen Bräuche allmählich ins soziale Abseits gerieten. Mit dem Ausbau Berlins zur Residenzstadt im Jahr 1701 und einer immer schneller wachsenden Bevölkerung änderte sich allmählich der Charakter des Weihnachtsfestes. 

Berliner Schloss in der Kurfürstenzeit (Little Big City)

Auch wenn es schon bescheidene Vorläufer gab – ein festlicher Weihnachtsmarkt ist in Berlin erst ab 1729 belegt. Der Besuch der Königsfamilie war eine feste Tradition und einige Jahre später fand dieser gemäß Königlicher Kabinettsorder in der Breiten Straße statt. Reiseführer aus der Zeit belegen, dass er sogar überregional als Sehenswürdigkeit bekannt war. Zu kaufen gab es Back- und Naschwerk und Spielzeuge wie Puppen und Zinnsoldaten. Unweit davon kann man heute am Schloßplatz den Wintermarkt besuchen, der zumindest ein bisschen auf historisch macht – statt „Berliner Naute“ gibts aber natürlich wie überall Crêpes. Die werden immer noch dünner und schmecken irgendwie nur noch nach Papier. Oder kommt das nur mir so vor?

Der erste geschmückte Lichterbaum ist für Berlin übrigens für das Jahr 1780 belegt. Auch Adventskränze, Pyramiden und Weihnachtskrippen kamen in den folgenden Jahren auf. Und schon befinden wir uns im:

Biedermeier

Die Zeit zwischen 1815 und der Revolution von 1848 wird Biedermeier genannt – für viele der Inbegriff von Piefigkeit. Allerdings stammt das, was wir uns heute unter einem traditionellen Weihnachtsfest vorstellen, aus dieser Zeit. Wer einen Einblick in das damalige Leben der Oberschicht erhalten will, der sollte ins Museum Knoblauchhaus im Nikolaiviertel gehen.

In den Wochen vor Weihnachten gibt es dort seit Jahren eine Weihnachtsausstellung, wo ihr eine typische Berliner Weihnachtspyramide sehen könnt, was so auf den Gabentisch kam und wie Christbäume geschmückt waren. Direkt vor dem Museum kann man danach dann noch auf das Winter-Filmfest und Feuerzangenbowle trinken (und gucken).

Der Tannenbaum mit den Basteleien, der einen sofort „früher war mehr Lametta“ denken lässt, erinnerte mich direkt an das, was bei uns die letzten Jahre im Wohnzimmer stand. Ist also gar nicht besonders modern, sondern Biedermeier – ich alte Spießerin! Die Weihnachtspyramiden, die in ganz Berlin überdimensional rumstehen, haben leider nichts mit den Berliner Pyramiden zu tun, denn die kommen aus dem Erzgebirge.

Was ich auch interessant fand: Der Schmuck musste damals nichts mit christlichen Symbolen zu tun haben. Die Berliner Autorin Lily Parthey beschrieb 1822 beispielsweise einen ägyptischen Tannen- und Weihnachtsbaum, den Feigen, Datteln, Schlangen, Pyramiden und Obelisken zierten. Baumschmuck aus Glas kam erst um 1831 auf.

Parthey-Baum im Knoblauchhaus

Berliner Weihnachten im Kaiserreich

Ab 1871 war Berlin nicht mehr nur die Hauptstadt Preußens, sondern auch des Deutschen Kaiserreiches. Auch in diese Zeit fallen natürlich einige Veränderungen in der Art, wie Weihnachten hier begangen wurde. 1885 konnte man hier bei einer öffentlichen Weihnachtsfeier den ersten Weihnachtsbaum mit elektrischer Beleuchtung bewundern – bis heute fast eine Gretchenfrage: echte Kerzen oder Lichterketten? Wie prunkvoll die Kaiserfamilie damals Weihnachten feierte, könnt ihr im Schloss Charlottenburg und im Neuen Palais in Potsdam bei speziellen Weihnachtsführungen erfahren. Leider hab ich für Charlottenburg schon Wochen vorher kein Ticket mehr bekommen. Aber natürlich ist das Fest der Kaiserfamilie auch nicht das der übrigen Bevölkerung. In armen Familien bedeutete die Vorweihnachtszeit vor allem Kinderarbeit. Die mussten nämlich durch die Stadt laufen und selbstgefertigte Hampelmänner, Pyramiden und anderes verkaufen. Auf dem Bild aus einer Zeitung von 1885 seht ihr die kleinen Verkäufer*innen unten rechts im Bild. (Die alte Zeitung hab ich von Ebay, da gibt es einfach alles!)

Weihnachten in Berlin 1885 Zeitungsbild
Berliner Straßenleben zur Weihnachtszeit (Paul Bauer)

Die Weihnachtsmärkte Berlins wurden immer voller und zunehmend von ärmeren Bevölkerungsschichten aufgesucht. Zahlungskräftiges Publikum lockten in den folgenden Jahrzehnten die neuen Kaufhäuser und deren festlich geschmückte Schaufenster an – die wiederum befinden sich heute im Niedergang. In ein paar Jahren gibt es vielleicht nur noch das KaDeWe.

Weltkriege

Mit der Biedermeier-Besinnlichkeit war es spätestens mit Beginn des Ersten Weltkrieges vorbei. An einigen Weihnachtsbäumen hing jetzt etwas, das sich patriotischer Christbaumschmuck nannte und so aussah (danke an Ebayverkäufer louis-antik für die Bilder!):

1918 ging wegen Straßenkämpfen und Todesopfern als „Blutweihnacht“ in die Geschichte ein und auch während der Weimarer Republik fielen viele Feiertage für einen großen Teil der Bevölkerung eher karg aus. Die Goldenen Zwanziger prägten in Berlin zwar rauschende Feste, aber eben nur bei denen, die es sich leisten konnten. Und auch die Naziherrschaft und der Zweite Weltkrieg warfen dunkle Schatten auf das einst so fröhliche Fest. Nach der besonders freudlosen Kriegsweihnacht 1944 folgte die „Friedensweihnacht“ 1945 und bald schon wurden wieder völlig neue Kapitel in der Berliner Art Weihnachten zu verbringen aufgeschlagen.

Weihnachten in Berlin in Ost und West

In der geteilten Stadt entwickelte sich Weihnachten dann völlig unterschiedlich. „Während man in der DDR vielfach versuchte, das Weihnachtsfest zu ‘entchristlichen’ und zu ‘Lichterfest’ oder ‘Jahresendfest’ zu stilisieren, fiel im Westen der Stadt, parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung, die Beschaulichkeit zunehmend dem Konsumrausch zum Opfer“ schrieb mir Kaija Voss, deren Buch „Berliner Weihnacht“ meine wichtigste Quelle war. Ich kann es euch absolut empfehlen, denn mein Artikel kratzt natürlich nur an der Oberfläche, es gäbe noch so viel mehr zu erzählen!

Buch Berliner Weihnacht Cover
Berliner Weihnacht von Kaija Voss

Weihnachten in Berlin heute

Heute kann man in Berlin Weihnachten feiern, wie man Lust hat. Besinnlich in der Familie mit Biedermeier-Bäumchen oder mit Brechreiz auslösenden Fahrgeschäften auf dem Berliner Weihnachtsmarkt in Lichtenberg (ganz wunderbar in der taz beschrieben: „Außer Zauber gibt es alles“) – oder einfach gar nicht.

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