Kultur & Geschichte

Auf den Spuren der Berliner Pharmaziegeschichte

Immer auf der Suche nach Berlingeschichten, die nicht jeder kennt, und außergewöhnlichem Sightseeing, bin ich über das Buch „Berlin mit Risiken und Nebenwirkungen“ von Mark Benecke gestolpert. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass Berliner Pharmaziegeschichte so spannend und unterhaltsam sein kann. Und wie viele Orte es in der Hauptstadt bei dem Thema zu entdecken gibt! Tatsächlich ist Berlin wohl Deutschlands Pharmastandort Nummer 1. Nur schreibt sich das hier niemand auf die Fahnen, denn es widerspricht nun mal dem Bild von arm, aber sexy, von alternativ, cool und lustig. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir uns alle trotzdem bei Kopfschmerzen eine Tablette einwerfen. Und – so Benecke – man auch gegen die hier weit verbreiteten Geschlechtskrankheiten Medikamente braucht.

Die Anfänge – Alchemie

Was sich heute pharmazeutische Forschung nennt, war in der Frühen Neuzeit Teil der Alchemie. In Berlin tat sich in dem Zusammenhang vor allem ein gewisser Leonhard Thurneysser hervor, nach dem heute eine Straße im Wedding benannt ist. Sein Leben endete allerdings tragisch. Einst Universalgelehrter am Hof des Kurfürsten Johann Georg und erster Versandapotheker Europas (Ferndiagnosen stellte er unter anderem anhand von Urinproben) – endete er diffamiert und verarmt. Vorher allerdings hatte er ein Labor im Grauen Kloster, wo er teure Mittelchen zusammenmischte.

Ruine des Grauen Klosters

An seinem bitteren Ende ist vor allem sein einstiger Gönner schuld, aber für den war Thurneysser nur einer mehr auf der Liste: Johann Georg bescherte auch der Geliebten seines Vaters, Anna Sydow, einen schrecklichen Tod. So kam Berlin zu seinem Stadtgespenst, der weißen Frau. Durch die Ruine des Grauen Klosters, besser bekannt als Franziskanerkloster in Mitte, spukt allerdings ein gewisser Roderich. An einer Gedenktafel findet ihr aber eine Widmung, denn Tausendsassa Thurneysser betrieb dort auch die erste Berliner Druckerei.

Berliner Pharmaziegeschichte: Graues Kloster
Geschichtsträchtiger Ort: Franziskanerkloster in Mitte

Im 17. Jahrhundert galt dann die Pfaueninsel als alchemistische Gruselstätte, wo der Alchemist Johann Kunckel von Löwenstein in der 1689 abgebrannten Glashütte experimentierte. Kunckel erfand dort das sogenannte Goldrubinglas, von dem man glaubte, dass das darin enthaltene Gold seine wunderheilenden Kräfte auf Flüssigkeiten übertragen konnte. Das Betreten des Eilands war damals übrigens streng verboten. Wenn ihr heute dort spazieren geht, dann haltet Ausschau nach dem Gedenkstein, der an Kunckels Zeit dort erinnert.

Auch wenn das aus heutiger Sicht alles sehr abenteuerlich klingt, wurde damals doch einiges entdeckt, auf das später andere ihre Forschungen aufbauen konnten.

Fontane als Apotheker

Ein kleiner Zeitsprung ins 19. Jahrhundert: der heute vor allem für seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ berühmte Theodor Fontane entstammte einer Apothekerfamilie und arbeitete darum eher wenig enthusiastisch selbst in dem Beruf. In Berlin ab 1845 zunächst in der Polnischen Apotheke in der Friedrichstraße. Die gibt es inzwischen zwar nicht mehr, das Gebäude könnt ihr aber leicht erkennen.

Seine letzte Anstellung als Pharmazeut hatte Fontane in Kreuzberg. Das Bethanien, heute ein Ort für kulturelle und soziale Einrichtungen, war damals ein Krankenhaus. Dort sollte er Diakonissen zu Apothekerinnen ausbilden. Die Krankenhausapotheke, in der er tätig war, ist bis heute erhalten und als Museum zugänglich. Die Öffnungszeiten sind allerdings etwas eingeschränkt. Derzeit könnt ihr die einstige Wirkungsstätte des Schriftstellers Dienstag, Mittwoch und Donnerstag am Nachmittag besichtigen, der Eintritt ist frei. Die Möblierung ist original erhalten, Gefäße etc. stammen zumindest aus derselben Zeit, wurden aber teilweise aus anderen Apotheken zusammengetragen.

Gewohnt hat er zu dieser Zeit gleich nebenan in einem Ärztewohnheim. Auch das Gebäude steht heute noch am Mariannenplatz – außen findet ihr eine Gedenktafel.

Berliner Pharmaziegeschichte: Fontane-Gedenktafel
Fontane-Gedenktafel

Es wird süß!

Im Mittelalter war Zucker ein rares und extrem teures Gut – der Handel damit war teilweise exklusiv Apothekern vorbehalten. Europäische Pharmazeuten machten sich darum auf die Suche nach Ersatzstoffen. In Preußen wurde Ende des 18. Jahrhunderts der Hofapotheker Sigismund Friedrich Hermbstädt mit der Aufgabe betraut. Dieser befand Ahorn für geeignet, obwohl schon etliche Jahre vorher sein Kollege Andreas Sigismund Marggraf die Runkelrübe als geeigneten Ersatz ausgemacht hatte. Fünf Millionen Bäume sollten gepflanzt werden. Davon sah man irgendwann aber dann doch wieder ab und 1801 wurde die erste Rübenzuckerfabrik in Berlin eröffnet. Ab 1904 entstand im Institut für Zuckerindustrie im Wedding ein Zucker-Museum, das ihr in Teilen heute im Deutschen Technikmuseum bewundern könnt.

Berliner Pharmaziegeschichte: Technikmuseum

Die Frauen kommen

In Klöstern waren Frauen in Apotheken bereits früher üblich, abgesehen davon war ihnen der Apothekerinnenberuf lange verschlossen. 1899 wurde dann der Weg an Universitäten für sie frei gemacht. Zunächst allerdings nur als Gasthörerinnen und mit etlichen Hürden. In Berlin dauerte es bis zum Wintersemester 1908/09, bis sie sich offiziell an der heutigen Humboldt-Universität immatrikulieren durften. Der befürchtete Ansturm blieb allerdings aus – nur eine einzige Frau schrieb sich ein. Grund dafür war vor allem die vorgeschriebene mehrjährige Lehrzeit in einer Apotheke, denn die Stellensuche gestaltete sich für Frauen mehr als schwierig. Für Apothekerstöchter war das etwas leichter, vorausgesetzt die Familie unterstützte den Berufswunsch. Nicht verwunderlich also, dass die erste Berliner Apothekerin einen Apothekervater hatte. Luise von Gusnar ging ab 1907 bei diesem in seiner Apotheke zum weißen Adler in die Lehre und konnte dann von 1911 bis 1913 studieren. In dem Gebäude in der Friedrichstraße ist heute eine Kaffeehauskette, außen erinnert allerdings ein Schriftzug an die einstige Nutzung.

Heute sind sehr viel mehr Frauen als Männer zum Pharmaziestudium eingeschrieben. Zahlen gibt es dazu viele unterschiedliche, der Anteil steigt wohl kontinuierlich immer weiter. Wer etwas mehr dazu lesen möchte, der findet gute Artikel in der Deutschen Apotheker Zeitung.

Der Arzneipflanzengarten

Auch wenn vieles heute chemisch synthetisiert wird – Pflanzen spielen in der Pharmazie weiter eine große Rolle. Einen wunderbaren Einblick in die Wirkweise von Heilpflanzen könnt ihr im Botanischen Garten in Dahlem erhalten. Der dortige Arzneipflanzengarten wurde ganz besonders angelegt: er stellt einen menschlichen Körper dar und die Kräuter wurden dort angepflanzt, wo sie als Medizin wirken. Ok, da braucht man schon etwas Fantasie, aber coole Idee. Lungen, Herz und Darm erkenne ich zumindest, denke ich …

Arzneipflanzengarten in Dahlem

Der Botanische Garten, der natürlich noch viel mehr zu bieten hat und unbedingt einen Besuch wert ist, kam übrigens 1902 gemeinsam mit dem Pharmazie-Institut nach Dahlem. Für die Öffentlichkeit zugänglich ist er seit 1904.

Schnelldurchlauf durch die Neuzeit

Über die Entwicklungen in den letzten 100 Jahren kann man ganze Bücher füllen, aber das würde nun zu weit führen. Ich finde ohnehin die Anfänge der Berliner Pharmaziegeschichte viel unterhaltsamer. Aber ein paar Namen will ich noch erwähnen: allen voran natürlich Schering, 2006 geschluckt von Bayer Pharma. Die wohl größte Errungenschaft des Konzerns war die Erfindung der Anti-Baby-Pille, die 1961 auf den Markt kam. Damals eine absolute Revolution – heute wollen sich viele Frauen lieber nicht mehr mit Hormonen vollpumpen, aber dennoch: ein Meilenstein made in Berlin! Seit 1971 wird in der Hauptstadt „Klosterfrau Melissengeist“ produziert. Der Trank besteht zum großen Teil aus Alkohol und hilft wohl quasi gegen alles. Oder man trinkt ihn zum Spaß – gemixt mit Red Bull wird er in Berlin nämlich als „Klosterstier“ serviert. Wer Probleme mit der Schilddrüse hat, dem ist sicher auch Henning ein Begriff, 1898 hier gegründet und und und …

Hier noch eine Zufallsentdeckung: Lysoform. Eine Berliner Firma, die seit 1900 besteht und damals wohl den Markt für Desinfektionsmittel revolutionierte – der Gründer Hans Rosemann war der erste, der eine Flüssigseife mit Formaldehyd herstellte. An dem Firmensitz in Lankwitz hängt außen ein tolles Plakat, das mich überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht hat. Wie mir die Firma inzwischen mitgeteilt hat, handelt es sich um das Gemälde „Die Genoveva“ des deutsch-französischen Künstlers Ferdinand Schultz-Wettel (1872 -1957). Das genaue Entstehungsdatum ist allerdings unbekannt.

Desi aus Berlin

Alte Apotheken in Berlin

Wer ein Rezept einlösen will und dabei eine kleine Zeitreise unternehmen möchte, der fahrt am besten mal zum Hackeschen Markt. Die heutige MediosApotheke wurde 1732 als Rothe Apotheke gegründet und steht mit ihrer historischen Einrichtung unter Denkmalschutz. Kleiner Tipp: Schaut unbedingt mal an die Decke hoch!

Andere alte Apotheken verfügen zwar noch über ihre originale Einrichtung, werden aber anders genutzt: Besucht doch beispielsweise Winterfeldt Schokoladen in der Goltzstr. 23 in Schöneberg oder die Apotheken Bar am Kreuzberger Mariannenplatz.

Die Apotheken Bar

Berliner Pharmaziegeschichte

Wer bis hierhin gelesen hat, dem kann ich das Buch von Benecke nur ans Herz legen. Darin sind noch so viel mehr spannende Geschichten und Anekdoten zusammengetragen! Ich selbst bin absoluter Laie, der Artikel stellt die Ereignisse und Fakten extrem gekürzt dar und soll vor allem dazu anregen, neue Seiten an Berlin zu entdecken. Fühlt euch frei, in den Kommentaren zu ergänzen, was ich ausgelassen habe.

3 Comments

  • Nele

    Auch nach abgeschlossenem Pharmaziestudium in Berlin kann ich noch einiges neues und interessantes hier erfahren. Und werde ganz sentimental nebenbei bemerkt… Wenn ich die Apothekenbar nur damals schon gekannt hätte… Hier unerwähnt sind allerdings die legendären Semesterabschlussfeten im Institut… (Grüße an Tina, Ralf und Anne). Cooler Artikel, Danke!

  • Werner

    Meine Mutter schwörte über Jahrzehnte auf „Klosterfrau Melissengeist“. Sie ist 98 geworden …

    „Klosterstier“? 🙂 Berlin ist wahrlich innovativ!

    Zucker gab’s im Mittelalter vor allem in Apotheken? Interessant!

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