Durchs Hansaviertel mit Beyond and Beneath Tours

Ich war mal im Kultmusical „Linie 1“ im Grips Theater, ansonsten assoziierte ich mit dem Hansaviertel nur hässliche Hochhäuser, die man von der S-Bahn aus sehen kann. Von deren Entstehungsgeschichte hatte ich keine Ahnung, noch weniger von der Zeit des Viertels vor seiner fast vollständigen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Die Führung „Hansaviertel: Design für das Leben?“ von Beyond and Beneath Tours schien mir darum vielversprechend.

Das alte Hansaviertel

Treffpunkt war am S-Bahnhof Tiergarten mit dem Guide Morgan, der uns mitnahm zu einigen der wenigen alten Häuser des Viertels, die einen guten Eindruck davon vermitteln, wie es hier einmal ausgesehen hat. Im 19. Jahrhundert hatte sich hier eine gutbürgerliche Wohngegend entwickelt, in der auch zahlreiche Künstler*innen wie Käthe Kollwitz oder Lovis Corinth zeitweise lebten oder arbeiteten.

Zur Blüte des kulturellen Lebens des Hansaviertels trugen auch zahlreiche jüdische Anwohner*innen bei. Zu diesen zählten die Dichterin Else Lasker-Schüler, der Schriftsteller Kurt Tucholsky, die Schriftstellerin Nelly Sachs und der Regisseur Max Reinhardt. Der Niedergang des Viertels begann somit bereits Jahre vor seiner Zerstörung im Bombenhagel, wie zahlreiche Stolpersteine zeigen.

Nicht zuletzt befand sich die erste Wohnadresse von Rosa Luxemburg in Berlin hier. Die Cuxhavener Str. 2 ist zwar nicht erhalten, aber ein anderes wunderschönes Haus in der Straße verrät, wie es in ihrer Nachbarschaft ausgesehen hat.

Neuanfang im Hansaviertel

Auf einer Karte zeigte Morgan uns das ganze Ausmaß der Zerstörung – viel war nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich nicht übrig. Statt den Altbauten aus der Gründerzeit sollte auf dem Ruinenfeld etwas Modernes entstehen.

1953 startete ein Ideenwettbewerb für die Neugestaltung des Viertels. 53 ausgewählte internationale Architekten entwarfen daraufhin ein komplettes Stadtviertel, das im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Interbau 1957 eröffnet wurde. Ein architektonisches Großprojekt, das nicht zuletzt als Gegenentwurf zur Stalinallee in Ost-Berlin gedacht war.

Anhand einiger ausgewählter Lieblingshäuser von Morgan erfuhr die Gruppe viel über die Formensprache und die Intention der Siedlung, aber er zeigte uns auch viele Details, die einem sonst verborgen bleiben.

Berliner*innen, die sich mit Architektur nicht besonders gut auskennen, haben aber zumindest einen Namen schon oft gehört: Walter Gropius. Der Bauhaus-Gründer entwarf für das Hansaviertel einen gekrümmten Bau mit Balkonen, die an Segel erinnern.

Alles in einem Viertel

Die Wohnhäuser mit insgesamt etwa 1.300 Wohneinheiten waren aber nicht alles, was hier in den 1950er Jahren errichtet wurde. Auch eine Bibliothek, zwei Kirchen, eine Schule und Kitas entstanden im Rahmen der Neugestaltung.

Auf die Idee, in eine der Kirchen zu gehen, wäre ich selbst nie gekommen, denn von außen sind sie bestenfalls unscheinbar. Zumindest die evangelische Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche war an dem Tag geöffnet und ihr Inneres war überraschend schön in seiner Schlichtheit.

Beyond and Beneath Tours

Die Tour durchs Hansaviertel dauerte etwa 2,5 Stunden und ich habe echt viel über eine mir fast unbekannte Berliner Gegend gelernt – weit mehr als ich in meinen Artikel gepackt habe. Ich kann euch die Teilnahme also nur empfehlen! Für mich war es bereits die dritte Führung, die ich mit Beyond and Beneath Tours gemacht habe und ich will auch alle anderen noch mitmachen. Das Konzept der Mikro-Touren ist perfekt für Geschichtsinteressierte, die tiefer eintauchen und Neues entdecken wollen. Kein Wunder also, dass viele der Teilnehmenden aus Berlin kommen. Bislang gibt es 6 Führungen, aber es sind bereits weitere in Arbeit.