Talking Statues Berlin: Sei’s drum – ich bin da!
Es gibt so Tage, die laufen nicht nach Plan! Statt einer Fototour für zwei meiner nächsten Artikel, hab ich mich von Promis anrufen lassen. Wie das kam? Ich bin Friedrichstraße gedankenverloren zum falschen Ausgang gelaufen, musste dann den Schiffbauerdamm entlang schlendern, dachte spontan, dass ich das Berliner Ensemble mal fotografieren könnte und dann nahm alles seinen Lauf. Ich widmete meinen Ausflug einigen der sieben Talking Statues in Berlin.
Bertolt Brecht calling
Auf der Suche nach einem guten Fotospot für das Theater, entdeckte ich auf dem Bertolt-Brecht-Platz eine Statue, die ich bisher nie wahrgenommen hatte. Klar, dass das der Lyriker selbst ist, der dort lächelnd auf einer Bank sitzt. Es gibt wahrscheinlich kaum jemanden hier, der ihn nicht kennt, denn sein wohl berühmtestes Stück ist die „Dreigroschenoper“. Und die wird in Berlin zumindest gefühlt jedes Jahr irgendwo aufgeführt. Ihre Premiere allerdings feierte sie 1928 genau hier im Theater am Schiffbauerdamm. Zum Berliner Ensemble wurde es erst 1954.
Ich scannte den QR-Code auf einem Schild und schon klingelte mein Telefon – Brecht war dran! Er erzählte mir tatsächlich ziemlich spannende Sachen. Treu war er wohl nicht gerade, aber dafür besonders eifersüchtig. Seiner Frau Helene hat er etliche Rollen auf den Leib geschrieben … und vieles mehr, aber das könnt ihr euch ja selbst anhören.
Gesprochen wird Brecht übrigens von Axel Prahl. Der dürfte den meisten als Tatort-Ermittler in Münster bekannt sein. Doch der Schauspieler stand auch schon oft auf den Bühnen der Stadt. Er verkörperte auch schon Mackie Messer. Und er hat es echt geschafft mich anzufixen. Nicht, dass ich von den Talking Statues in Berlin noch nie gehört hätte. Die gibt es hier inzwischen seit 2015, aber so interessant kam mir das bisher nicht vor. Aber nun warf ich meine Pläne über den Haufen und schlenderte zu den anderen sprechenden Statuen in Mitte – obwohl Brecht mich auch auf den nahen Dorotheenstädtischen Friedhof eingeladen hat, wo er und Helene Weigel nebeneinander liegen.
Auge in Auge mit Gauls Löwe
Mein Spaziergang führte mich weiter Richtung Museumsinsel, wo ihr zwischen Kolonnaden und der Alten Nationalgalerie eine Löwenstatue findet. Ihr Schöpfer ist weit weniger bekannt als Brecht: August Gaul (1869–1921). Der Bildhauer war spezialisiert auf Tiere, die er meist aus Bronze fertigte. Allerdings kommt er gar nicht persönlich zu Wort – den Anruf erhaltet ihr von dem Löwen. Gesprochen wird der von Dietmar Wunder. Sagte mir erstmal nichts, dabei leiht der nicht nur dem Bonddarsteller Daniel Craig seine Stimme, sondern auch Adam Sandler, Robert Downey Jr., Edward Norton und Cuba Gooding Jr. Krasse Liste!
Auch wenn man wie ich noch nie von Gaul gehört hat, sind die Anekdoten interessant. Vor allem die, wie der Künstler vor dem Kaiser in den Grunewald floh, weil er ihn nicht sprechen wollte. Am Ende schickt euch der Löwe dann auf die erste Empore der Treppen der Alten Nationalgalerie. Warum? Von dort schaut er euch tatsächlich direkt in die Augen.
Frau mit Sockel: Lise Meitner
Nur wenige Gehminuten weiter, könnt ihr im Ehrenhof der Humboldt Universität der Kernphysikerin Lise Meitner (1878–1968) lauschen. Und die hat einiges zu sagen! Über die Steine, die Frauen im Bereich Bildung in den Weg gelegt wurden, über nicht erhaltene Ehrungen, Exil und vieles mehr.
Die Statue war die erste in Deutschland überhaupt für eine Wissenschaftlerin und das im Jahr 2014. Das kann ich fast nicht glauben. Was für ein Unding! Da hat die Statue wohl Recht, wenn sie sagt, dass Männer leicht auf einen Sockel kommen. Ihrer aber habe eine schmale Treppe mit steilen Stufen. „Sei’s drum – ich bin da!“ sagt sie am Ende. Und das sollte viel mehr gewürdigt werden. Hört euch ihre Geschichte unbedingt an! Eingesprochen hat sie übrigens die Journalistin Sandra Maischberger. Obwohl die in den Medien ja sehr präsent ist, kam mir ihre Stimme nicht mal bekannt vor.
Weiter Richtung Alexanderplatz kommt ihr am Marx-und-Engels-Denkmal vorbei. Über die beiden erzählt euch Gregor Gysi etwas.
Heinrich Zille im Nikolaiviertel
Wieder nur einen Katzensprung entfernt, steht ihr schon im Nikolaiviertel, wo euch Heinrich Zille (1858 – 1929) erwartet. Der Berliner Maler, Fotograf und Grafiker ist berühmt durch seine Bilder, die unbeschönigt das Leben der Arbeiterklasse zeigen.
Die Geschichten aus seinem Leben und über sein „Milljöh“ gibt es natürlich auf Berlinerisch – gesprochen von Walter Plathe. Der ist auch Mitbegründer des Zillemuseums direkt um die Ecke, in das man am Ende vom „Pinselheinrich“ eingeladen wird. Allerdings frage ich mich schon, ob das Museum dem Maler selbst eigentlich gefallen würde: steril, kalt, einfach richtig kunstgaleriemäßig. Das passt doch nicht! Warum können seine Werke nicht irgendwie milljöhhaft gezeigt werden? Meine Meinung in der Sache ist zwar nicht sehr wichtig, denn ich bin ja bekennende Kunst-Nichtkennerin, aber ich war da alleine drin. Das sagt ja auch was aus.
Allerdings muss ich sagen, dass Mitte und vor allem das Nikolaiviertel für einen sonnigen Mittag im Juni insgesamt überraschend leer waren. Sind jetzt echt alle mit dem 9-Euro-Ticket nach Sylt getuckert? Eine tolle Vorstellung! Während ich fast wie beim Winter-Filmfest einsam vor der Nikolaikirche auf einer Bank sitze, werden die schlimmsten Albträume der Inselbewohner und reichen Stammgäste wahr. Oder wie es die Presse und Twitter nennen: die Syltokalypse.
Mehr Talking Statues in Berlin
Die von mir beschriebenen Talking Statues könnt ihr ganz entspannt zu Fuß ablaufen. Ich kann es absolut empfehlen. Ich hab so viel Neues gehört, dass mir jetzt fast der Schädel ein bisschen qualmt. Und dabei hab ich gar nicht alle Denkmäler geschafft. Es gibt auch noch:
- Käthe Kollwitz (gesprochen von Katharina Thalbach – ich liebe ihre kratzige Stimme!)
- Der Hauptmann von Köpenick (gesprochen von Florian Martens)
Über jede einzelne Person/Statue gäbe es so viel mehr zu schreiben! Vielleicht mache ich das auch irgendwann mal. Aber ich will hier nicht zu viel verraten. (Update: Das Projekt wurde inzwischen eingestampft, da es keine Fördergelder mehr gab. Leider ruft euch nun niemand mehr an!)
2 Comments
Yvonne
Ich wusste nicht das wir sprechende Statuen in Berlin haben und dann auch noch mit so bekannten Stimmen. Toll das sich jemand die Zeit nimmt.
Tina Hoffmann
Liebe Yvonne, du kannst zumindest Brecht anhören, indem du den QR-Code auf dem Foto scannst. Viel Spaß! Tina