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Mit Joscha Remus im Natur Park Südgelände

Von wem könnte man sich besser einen Lieblingsplatz in der Hauptstadt zeigen lassen, als von einem Reiseschriftsteller, der schon etliche Berlinbücher veröffentlicht hat? Also hab ich Joscha Remus gefragt, der eben erst einen Führer mit 50 Mikroabenteuern in Berlin herausgebracht hat. Er nahm mich mit nach Schöneberg zum Natur Park Südgelände. Hier treffen Eisenbahngeschichte und Street Art auf urwüchsige Natur.

Röhrentunnel in die Natur

Geschichte des Areals

1889 entstand auf dem Gelände des heutigen Parks der Rangierbahnhof Tempelhof, der unter anderem den Loks der preußischen Berlin-Anhaltischen Eisenbahn diente. Deren Endstation war damals der Anhalter Bahnhof. Als dieser 1952 geschlossen wurde, baute man die Ferngleise ab und legte Teile des Rangierbahnhofs still. Nach und nach übernahm die Natur hier die Oberhand und es entwickelte sich ein einzigartiges innerstädtisches Ökosystem. Einer engagierten Bürgerinitiative ist zu verdanken, dass die neuen Nutzungspläne in den 1980er-Jahren nicht mehr umgesetzt wurden. Seit 1999 steht das Areal nun unter Natur- und Landschaftsschutz und bietet unter anderem vielen Vogel- und Bienenarten einen Lebensraum. Wissenswertes zu den hier heimischen Tieren und Pflanzen könnt ihr auf den Infotafeln unweit des Einganges nachlesen.

Infotafeln im Natur Park Südgelände

Langer Tag der Stadtnatur

Als Joscha und ich an der S-Bahnhaltestelle „Priesterweg“ ausstiegen, staunten wir erstmal nicht schlecht: Musik und Menschenmassen – nicht gerade das, was man sich von einem kleinen Ausflug ins Grüne erhofft! Wir hatten den Langen Tag der Stadtnatur nicht bedacht, an dem sich der Natur Park Südgelände natürlich beteiligt hat. Das war allerdings nicht weiter schlimm, denn so konnten wir an den Ständen von NABU und Grün Berlin gleich ein paar interessante Flyer und Prospekte abgreifen.

Wasserturm im Natur Park Südgelände

Joscha verwickelte außerdem direkt noch die Parkmanagerin Rita Suhrhoff in ein Gespräch und löcherte sie mit Fragen, die sie uns bereitwillig beantwortete. Sehr stolz erzählte sie uns von der diesjährigen Auszeichnung des Parks, dem Internationalen Carlo Scarpa Preis. Der seit 1990 vergebene Preis für Gärten ging damit überhaupt erst zum zweiten Mal nach Deutschland. Bevor wir mit unseren Kameras bewaffnet weiterzogen, gab es dann noch eine Ermahnung: Immer auf den Wegen bleiben! Das sei vor allem momentan zur Vogelbrutzeit besonders wichtig. Wahrscheinlich schleichen sich vor allem Leute mit großen Fotoapparaten gerne mal ins Dickicht auf der Suche nach dem perfekten Motiv

Entlang verwitterter Gleise

Je weiter wir uns von den Ständen und der Gastro wegbewegten, desto ruhiger wurde es. Auf dem riesigen Gelände verläuft es sich zum Glück auch an volleren Tagen recht schnell. Noch relativ nah am Eingang begegnete uns eine alte Lok, die inzwischen leider eingezäunt wurde. Trotz Verbotsschildern sind wohl zu viele Eisenbahnfans einfach mal eingestiegen.

Bevor wir ganz in die Natur abtauchten, machten wir noch einen kleinen Schlenker zum Giardino Secreto. Der ummauerte Garten mit seinen Stahlskulpturen und den einladenden Liegestühlen bildet einen bewussten Kontrast zur Wildnis.

Goethe-Zitat im Giardino Secreto
Goethe-Zitat im Giardino Secreto

Weiter ging es über Stege, von denen aus ihr immer wieder Blicke auf verwitterte Gleise im Dickicht erhaschen könnt. Die Versuchung war groß, doch mal einen unerlaubten Schritt zu machen – ist aber eben nicht nur verboten, sondern auch gar nicht nötig, denn der Steg überquert die morschen Gleise später auch mal.

Gleise im Natur Park Südgelände

Spannende Naturführung

An einem Rastplatz entlang des Gittersteges, der von rostigen Eisenrollen getragen wird, trafen wir auf eine Führung. Wir durften uns ein wenig dazusetzen und ich lauschte dem Vortrag von Gottfried Wiedenmann, während ein Marienkäfer über meine Hand spazierte. Der Biologe erzählte von der Komplexität des Ökosystems, der Artenvielfalt des Parks und von den Auswirkungen menschlicher Eingriffe in die Natur. Als alle anderen Zuhörer*innen schon weg waren, vereinnahmte Joscha ihn gleich noch für ein kleines Interview. Ich war fasziniert. So kommt man also an gute Infos. Fragen stellen – immer und überall!

Wir machten uns weiter auf den Weg zum sogenannten Baumhaus, das uns der Park-Experte empfohlen hatte. Stellte sich heraus, dass es sich um einen stählernen Aussichtsturm handelte. Das hatten wir uns wirklich idyllischer vorgestellt! Die Blick von dort oben war aber trotzdem nicht schlecht.

Es gibt übrigens auch eine ganze Reihe regelmäßiger Führungen und Rallyes durch den Park, auch „Natur am Zug“ von Herrn Wiedemann.

Wo Street Art auf Einsamkeit trifft

Die meisten Besucher*innen scheinen vor allem wegen den Veranstaltungen im Eingangsbereich und den Führungen gekommen zu sein. Zumindest waren wir an der ehemaligen Stützmauer, die offiziell für Graffitikünstler*innen als Leinwand freigegeben ist, alleine. Hier wird noch einmal das Motto der Parks klar, das einem in silbernen Buchstaben groß hinter dem Eingang entgegenblitzt: „Die Kunst ist der nächste Nachbar der Wildnis“. Seit Stunden schon hatten wir (außer natürlich bei der Führung) kaum eine Sekunde aufgehört zu quatschen – hier aber war die Stille so greifbar und schön, dass wir auch mal den Mund hielten. Stattdessen knipsten wir uns die Finger wund, denn die Motive waren hier wirklich dankbar. Joscha gefiel eine schwebende Bratwurst besonders gut. Es war wohl einfach an der Zeit, Essen zu gehen!

Graffitis Natur-Park Südgelände
Graffitimauer

Über Joscha Remus

Geboren am 23. August 1958 in der Südeifel. Studium der Germanistik, Philosophie und Biologie in Trier und Berlin. Veröffentlicht seit den Neunziger Jahren Bücher. Unter anderem Reiseführer zu Rumänien, Neuseeland, Luxemburg und natürlich Berlin. Seine Hörbuchreihe „Wegwärts“ wurde 2010 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. Besonders stolz ist er auf seine in der Zeit erschienenen Interviews mit Stanislaw Lem. Dabei wäre er von Liebe getrieben fast Schauspieler geworden …

Joscha Remus
Joscha Remus © Mars Lépine

Meine persönlichen Lieblinge:

Gelungener Ausflug

Für mich war es ein wirklich gelungener Tag, insgesamt war ich 8 Stunden unterwegs. Aber so ist das eben, wenn man vor lauter reden den Ring in die falsche Richtung fährt. Schaut euch den Natur Park Südgelände unbedingt mal an. Nehmt euch doch Joschas „Lesereise Berlin“ mit und entspannt ein bisschen im Giardino Secreto. Anekdoten, die beispielsweise mit „An dem Tag, bevor ich von einer vollgeschissenen Babywindel getroffen wurde, ging es mir richtig gut“ beginnen, können doch nur genial sein!

Lust auf mehr Natur & Industriekultur? Dann spaziert auch mal entlang der Rummelsburger Bucht oder über die Halbinsel Stralau.

2 Comments

  • Sabine

    Ich teile deine Begeisterung für den Natur-Park, besonders die für Graffiti freigegebenen Flächen fand ich toll. Beim „Baumhaus“ muss ich zugeben, dass die Leitern für mich als nicht ganz schwindelfreie Person eine Herausforderung waren 🙂 Deine Leseempfehlung für die Bücher von Joscha Remus klingt auch klasse, da werde ich beim nächsten Stopp in der Buchhandlung mal nach gucken.

    • Tina Hoffmann

      Liebe Sabine, ein bisschen mulmig zumute war mir auf den Leitern auch! Sag mir unbedingt Bescheid, falls du eines der Bücher gelesen hast! Mich würde deine Meinung interessieren. Liebe Grüße, Tina

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