Kultur & Geschichte,  Spaziergänge

Jugendstil in Berlin: Unterwegs mit Heike Maria Johenning

Die Abkehr vom preußischen Historismus hin zu einer ganz neuen Ästhetik vollzieht sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der sogenannte „Jugendstil“ hält auch in Berlin Einzug, wird zu einer Reformbewegung, die zunächst elitär ist, später jedoch in den Massengeschmack übergeht. Er durchdringt alle Bereiche des täglichen Lebens, auch das Bauen und Wohnen. An den Häusern sind nun mythische Fratzen und Pflanzenornamente zu sehen und eben diesen war die Autorin Heike Maria Johenning auf der Spur – entstanden ist daraus das 2023 erschienene Buch „Fassadendämmerung. Berliner Jugendstil“ mit 70 erhaltenen Gebäuden. Zu ein paar davon hat sie mich mitgenommen. Los geht unsere Jugendstiltour am Amtsgericht Mitte in der Littenstraße.

Amtsgericht Mitte

Ornamentik im Jugendstil

Reinlassen möchte man uns nicht, denn leider haben wir keine Fotogenehmigung, aber auch draußen gibt es Gelegenheit für einen ersten kleinen Exkurs in die Bildersprache des Jugendstils. Eine Tür ist geschmückt mit Disteln, die – obwohl aus der Kategorie „Unkraut“ – typisch sind für diese Stilrichtung. Heike schreibt dazu in ihrem Buch: „Die Distel gilt als stand- und wehrhaft, da sie, auch wenn sie abgeschnitten wird, ihre Form nicht verändert. Im Jugendstil wird ihr eine eigene Bedeutung zugewiesen: sie soll dämonische Mächte abhalten“.

Nicht weit entfernt in der Klosterstraße bietet das einstige Warenhaus Tietz eine wahre Fundgrube an Jugendstil-Insignien. Frauenköpfe, Blumenornamente, Drachen und Maskaronen genannte Fratzengesichter sind nur einige davon. Leider verhindern parkende Lastwagen das perfekte Foto …

Fassadendämmerung: Jugendstil in Berlin

Und auch die gefliesten Innenhöfe machen einiges her. Die grünen und weißen Gallischen Kacheln sind hier noch in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten.

Und auch wenn es nicht im Buch aufgenommen wurde, huscht Heike hier noch kurz mit mir in den U-Bahnhof Klosterstraße, um mir die Babylonischen Palmen von 1913 zu zeigen. Die waren mir zwar schon mal aufgefallen, große Gedanken hatte ich mir im Alltagstrott keine darum gemacht. Ein wunderbares Beispiel dafür, dass man in Berlin immer etwas entdecken kann, wenn man nur die Augen offen hält.

Fassadengärten

Weiter geht unsere Tour in die Prenzlauer Allee Ecke Raabestraße, wo ein Wohn- und Geschäftshaus von 1902 mit seiner aufwendigen Gestaltung ins Auge fällt. „Fassadengarten mit Klinker“ wird der außergewöhnliche Bau im Buch überschrieben – Backsteinjugendstil kommt in Berlin nur selten vor, denn Brandenburg hat kaum Tonvorkommen. Obwohl es Winter ist, meint es das Wetter inzwischen besonders gut mit uns und ich kann auch ein paar Sonnenstrahlen mit einfangen.

Fassadendämmerung: Jugendstil in Berlin

Drei gestaffelte Giebel, Rundbogenloggien, vier dreigeschossige Erkerreihen und natürlich jede Menge Fassadenschmuck, den ich inzwischen bereits erkenne: Disteln, aber auch Mohn, der für eine Traumwelt und Realitätsflucht steht, sowie Eichenbäume mit Wurzelwerk und Kastanienlaub.

Eichenbaum mit Wurzeln

Ein nicht weniger auffälliges Bauwerk zeigt mir die Autorin in der Immanuelkirchstraße. Die symmetrische Fassade der Hausnummer 3/4 mutet mit ihren Erkern, Loggien und schmiedeeisernen Balkonen ganz zauberhaft und fast südländisch an. Wer genau hinsieht, erkennt, dass hier jemand besonders viele böse Geister abwehren wollte! Ganze Acht gruselige Männerfratzen, also Maskaronen, sind hier mit weit aufgerissenen Mündern zu sehen, dekoriert mit Blüten und Blättern.

„Fassadendämmerung“ für Berlinfans

Und das war noch längst nicht alles, was ich an dem Tag gelernt habe. Geschweige denn, was ich alles weiß, seit ich das Buch gelesen habe. Es kleben noch etliche Post-its darin mit Jugendstilbauten, die ich mir bei Gelegenheit einmal ansehen möchte. Wer sein Auge erstmal darauf geschult hat, wird aber auch so immer wieder Elemente entdecken, die der Stilrichtung zuzuordnen sind.

Die private Tour von Heike Maria Johenning hat mir mal wieder gezeigt, wie vielfältig Berlin auch in seiner Architektur ist. Ihr könnt die Entdeckungsreise mit ihrem Buch machen. Und dafür müsst ihr keine ausgesprochenen Architekturfans sein, es ist auch eine Bereicherung für alle, die Berlin lieben oder abseits der üblichen Sehenswürdigkeiten erkunden wollen. Im Buch sind auch zwei Spaziergänge zusammengestellt. Kaufen könnt ihr „Fassadendämmerung. Berliner Jugendstil“ direkt beim Ammian Verlag oder einfach dort, wo ihr sonst euren Lesestoff bezieht.

Auf den Geschmack gekommen? Schaut doch mal in meinen Artikel zum Thema Bauhaus in Berlin, für den ich auf eigene Faust mit einem Bildband unterwegs war.

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