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Kram zu verschenken in Berlin

Alle paar Wochen gibt es einen Artikel über das Phänomen der Verschenkekisten in Berlin. Und das längst nicht nur in Berliner Zeitungen, auch in allen anderen Ecken des Landes (gefühlte Wahrheit) ist man schon auf den Lästerzug aufgesprungen. Denn meist ist es ja so: An dem Kram, den hier sehr viele Menschen an die Straße stellen, wird kein gutes Haar gelassen. Darum wollte ich eine Verteidigung schreiben, hatte zuerst sogar „Loblied“ in der Überschrift stehen – ein Spaziergang und ein Taz-Artikel haben meine Meinung allerdings etwas geändert. Ihr habt Sachen zu verschenken in Berlin? Das geht eher gut und schlecht.

Vergesst den Hamburger Bahnhof – geht spazieren!

Müll am Straßenrand

Erstmal muss man klar unterscheiden zwischen den kleinen Schenkekisten und illegaler Müllentsorgung. Alle, die eine alte Matratze mit Pisse-, Kaffee- und Spermaflecken mit „zu verschenken“-Zettel an die Straße stellen, wissen, dass das niemand haben will und sie sich nicht wohltätig oder nachhaltig, sondern asozial verhalten. Das Angebot in Berlin zur Entsorgung von größerem Müll ist sehr gut und niedrigschwellig. Kostenlos sogar! Auch ohne Auto geht das. Notfalls muss man seinen Mist halt etappenweise mit Bollerwagen zum Recyclinghof ziehen (ja, so machen wir das auch!) oder man nutzt die BSR-Kieztage. Bei Kleinmöbeln hingegen hab ich auch schon tolles Zeug entdeckt.

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Bei diesem Radio auf Stralau schrie mein Schulter-Messi: „Ich will das unbedingt haben!“ Die Schulter-Minimalistin brüllte leider: „NEEEEEEIIIINN!“ Ich hab es dann nicht mitgenommen, da ich schon alte Holzlautsprecher vom Wegesrand im Keller hab, die ich zu einer Kommode machen will … als ich das nächste Mal vorbeikam, hatte es sich schon jemand geschnappt. Aber das ist ja auch kein kaputtes Sofa oder ein defekter Kühlschrank. Sagen wir: eine Grauzone.

Schenkebox – des einen Müll …

Ich gebe zu, ich schaue sehr gerne in diese Kisten, die Leute rausstellen. Und stellt euch vor, sogar auf der Pfaueninsel bin ich schon an einer Schenkekiste vorbeigelaufen. Die war total aus der Zeit gefallen. Kleine, politisch nicht ganz korrekte Spielfiguren aus den 70ern, Minikeramiken und Diarahmen. Noch originalverpackt. Dreimal dürft ihr raten, wer die jetzt in seiner Bastelkiste hat! (Hier gibt es Diarahmen-Bastelideen).

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Brauch ich irgendwann!

Aber ich nehme auch mal Bücher, Kinderklamotten, alte Bilderrahmen oder eben Kram zum Basteln mit. Das sind beispielsweise Sachen, für die ich mich in letzter Zeit erwärmen konnte: tolles Motivpapier, ein historischer Berlinroman von 2023 und eine süße Kindertasche.

Also ich mag es

Und auch wenn ich manchmal denke: „wer braucht den Scheiss“? – der Kram verschwindet oft trotzdem. Ist eben Geschmacksache. Genau wie Kunst. Auch dieses Werk hat jemanden gefunden, der oder die es mitgenommen hat.

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Ist das Kunst? Oder …

Fasziniert hat mich das ja auch, aber irgendwie auch verstört. Kleinere Kunstwerke auf Leinwand hab ich auch schon eingesteckt, neu grundiert und meiner Tochter zum Bepinseln gegeben. Warum nicht? Aber so gerne ich Schenkezeug auch mag, finde ich, dass die Verschenker*innen dafür verantwortlich sind, dass die Sachen auch wieder verschwinden. Man kann doch nach 2 Tagen mal danach schauen und wenn dann nur noch vollgeregnete Reste und Müll drin sind, den irgendwelche Leute dazu geworfen haben, dann nimmt man es und entsorgt es. Ganz einfach.

Schenkeschränke

Ich selbst stelle übrigens keine Kisten raus. Bücher bringe ich in Bücherschränke und Krimskrams trage ich zum nächsten Schenkeschrank. Weil es dann nicht am Gehweg rumliegt und weil diese Schränke von Freiwilligen gepflegt werden. Vor allem aber, weil ich denke, dass die Sachen dort am ehesten Abnehmer*innen finden, denn sie werden durchaus von Leuten gezielt angesteuert. Den Schenkeschrank am about blank nennen meine Nachbarin und ich „das schwarze Loch vom Ostkreuz“. Es gibt echt nichts, was dort nicht nach kurzer Zeit verschwindet.

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Wird regelmäßig aufgeräumt

Manchmal ist es echt kurios oder witzig, was da so rumsteht. Die Schallplatte hat mich total zum Schmunzeln gebracht. Leider habe ich keinen Plattenspieler … ob ihr es glaubt, oder nicht: sie hat ein neues Zuhause gefunden! Irgendjemand hört jetzt vielleicht täglich ganz verzückt „Ich bin kein Kind von Traurigkeit“ und fragt sich, warum dieser Schatz im Schenkeschrank gelandet ist. Und mich erfreut wiederum der Gedanke an diese Person.

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Hachja

Zu verschenken in Berlin – Fazit

Wie gesagt, ich bin total für Schenkekisten, aber eben nach gewissen Regeln. Vor ein paar Tagen bin ich ganz optimistisch losgezogen und wollte für meinen Text ein paar Positivbeispiele sammeln. Gefunden habe ich leider kein einziges, sondern nur das und ähnliches:

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Echt jetzt?

Und das hat mich echt betroffen und traurig gemacht. Wegen solchen Haufen reagieren viele so negativ auf das Thema. Wer tut sowas? Als ich dann noch den Artikel „Armut und Erdbeeren“ von Katrin Seddig gelesen habe, konnte ich endgültig kein reines Loblied mehr verfassen. Sie schreibt unter anderem: „Das System erbricht sich, denn es ist vollgefressen und jetzt erbricht es sich. Es sind erst kleine Häufchen, aber es wird mehr, und bald werden Berge vor den Häusern liegen“ … „Niemand wird dann mehr etwas geschenkt haben wollen – es sei denn, es ist kein Gegenstand.“ Sie hat natürlich recht. Im Kern sind diese Kisten und Schränke ein Symptom des Überflusses. Wir alle haben so viel, dass wir problemlos ständig kisten- und tütenweise davon weggeben können. Wir müssen weniger konsumieren, daran führt kein Weg vorbei. Aber die alte Schallplatte oder die Diarahmen, die schlummern ja ohnehin schon in Kellern oder auf Dachböden – also gerne raus damit 🙂

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