Die Rote Kapelle: Erinnerungsorte in Berlin
Wenn es um den Widerstand gegen die Nationalsozialisten geht, denken wahrscheinlich fast alle erstmal an die Weiße Rose. Über 33.000x wird allein der Name Sophie Scholl jeden Monat in die Google-Suche eingetippt. Aber wer kennt beispielsweise Liane Berkowitz, die mit nur 19 Jahren von den Nazis hingerichtet wurde? Sie war Mitglied der Roten Kapelle, einem losen Zusammenschluss mehrerer Widerstandsgruppen, die vor allem in Berlin aktiv waren. Ich habe einige Erinnerungsorte besucht.
Kleiner Überblick: Die Rote Kapelle
Insgesamt umfasste die Widerstandsgruppe rund 150 Mitglieder, die allerdings nur lose miteinander organisiert waren. Die „Rote Kapelle“ war auch keine Eigenbezeichnung, sondern der Name, den die Gestapo ihnen nach ihrer Entdeckung 1942 gab. Eigentlich handelte es sich um sieben kleinere Gruppen, die sich ab 1933 vor allem rund um Mildred und Arvid Harnack sowie Libertas und Harro Schulze-Boysen gebildet hatten und ab 1939 miteinander vernetzten. Die Nationalsozialisten diskreditierten sie als Spionageorganisation der Sowjetunion und klagte die inhaftierten Widerständler als Landesverräter an. Insgesamt wurden über 50 von ihnen ermordet, darunter auch viele Frauen.
Gedenkstätte Plötzensee
Speziell für die Mitglieder der Roten Kapelle ließ Hitler Fleischerhaken in Plötzensee anbringen. Dabei handelt es sich um eine besonders qualvolle Art der Erhängung, die sich über mehrere Minuten hinzieht. Zwei Tage vor Weihnachten im Jahr 1942 wurden 11 von ihnen hingerichtet – in der folgenden Zeit noch 43 weitere.
Heute ist hier eine Gedenkstätte untergebracht, die unter anderem an die Rote Kapelle erinnert. Die Haken in der ansonsten leeren Hinrichtungshalle sind nicht die Originale, trotzdem bekommt man beim Blick in den Raum eine kleine Vorstellung von dem Schrecken, der hier stattgefunden hat. Insgesamt starben hier 2.800 Menschen, teilweise wegen geringfügiger Delikte.
„Alles, was ich tat, tat ich aus meinem Kopf, meinem Herzen und meiner Überzeugung heraus. Dieser Tod passt zu mir“ schrieb Harro Schulze-Boysen in seinem Abschiedsbrief kurz vor seiner Ermordung in Plötzensee.
Die Angehörigen der Opfer erhielten nach der Hinrichtung übrigens eine Rechnung zugestellt: für jeden Hafttag sollten sie 1,50 Reichsmark erstatten, für die Hinrichtung 300 Reichsmark und sogar das Porto für die Zustellung der Forderungen wurde mit 12 Pfennigen berechnet. Das betraf allerdings nicht nur Plötzensee, auch für Deportationen wurden die Opfer oder deren Hinterbliebene zur Kasse gebeten.
Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Ein weiterer Erinnerungsort in Berlin, der sich dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten widmet, ist die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstr. 13. Dort könnt ihr euch auf mehreren Stockwerken über die unterschiedlichsten Formen des Widerstands und die zahlreichen Gruppen informieren. Übrigens war auch die Rote Kapelle alles andere als eine homogene Organisation. Ihre Mitglieder stammten aus allen gesellschaftlichen Schichten und auch ihre Tätigkeiten waren ganz unterschiedlich.
Neben der politischen Aufklärungsarbeit mit Flugblättern, Briefsendungen und Klebezetteln, in denen sie die Kriegsverbrechen der Nazis anprangerten, leiteten die Mitglieder auch militärische Informationen an die Sowjetunion weiter. Ein durchgängiger Kontakt der Gruppe mit der Sowjetunion war aber wohl nie vorhanden. Leider war es ausgerechnet die Sowjetunion, die das Netzwerk auffliegen ließ, durch einen Funkspruch, in dem der Name Harro Schulze-Boysen genannt wurde und von der deutschen Militärabwehr abgefangen wurde.
Die Ausstellung der Gedenkstätte besteht übrigens auch aus interaktiven Teilen. Unter anderem könnt ihr euch an Bildschirmen durch zahlreiche Biografien klicken. Hörenswert finde ich zudem den „Podcast Rote Kapelle“, der wie eine Art Audiowalk aufgemacht ist. Eingesprochen wurde er von Nachfahren einiger Widerstandskämpfer*innen.
Gedenkwand HU
Ein eher unbekannter Gedenkort, an dem man auch normalerweise nicht zufällig vorbeiläuft: Die Wand zum Gedenken an den Widerstand von Hochschulangehörigen, auf der sich auch zahlreiche Namen aus dem Umfeld der Roten Kapelle finden.
Wenn ihr von Unter den Linden das Hauptgebäude der HU betretet, lauft durch bis zum Innenhof. Haltet euch dort rechts und geht bis ans Ende, dann steht ihr direkt vor dem Denkmal.
Weitere Erinnerungsorte an Mitglieder der Roten Kapelle
Einen Zufallsfund habe ich kürzlich am S-Bahnhof Westend gemacht. Zahlreiche Mitglieder des Widerstands, die in der Umgebung gelebt haben, wurden dort porträtiert. Unter anderen auch die Rote-Kapelle-Aktivist*innen Ilse Stöbe, Oda Schottmüller sowie das Ehepaar Schulze-Boysen, für die auch Stolpersteine vor ihren ehemaligen Wohnhäusern verlegt wurden.
Stolpersteine, die an ehemalige Mitglieder der Roten Kapelle erinnern, sind quasi über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Beispielsweise findet ihr in Tempelhof die Steine für das Ehepaar Schumacher, das zu den ersten 11 Hingerichteten gehörte.
- Maria Terwiel: Lietzenburger Str. 72
- Mildred Harnack: Genthiner Str. 14
- Hilde Coppi: Seidelstr. 23
- Erika Gräfin von Brockdorff: Wilhelmshöher Str. 17
Nach letzterer wurde außerdem ein Platz benannt, direkt am Bahnhof Südkreuz. Neben Straßen und Plätzen gibt es in Berlin noch weitere Benennungen nach der Roten Kapelle, beispielsweise das Hans und Hilde Coppi Gymnasium in Karlshorst.
Nicht zuletzt können euch auch etliche Gedenktafeln im Stadtbild begegnen. Hier eine für das Ehepaar Harnack, die ihr Hasenheide 61 direkt am Bahnhof Südstern besichtigen könnt.
Ein spannendes audiovisuelles Porträt von Mildred Harnack mit Fotos, Auszügen aus Briefen und mehreren Audiodateien findet ihr auf der Seite der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
Die Rote Kapelle in Berlin
Es gibt durchaus zahlreiche Orte in Berlin, wo den mutigen Männern und Frauen der Roten Kapelle gedacht wird. Tatsächlich weit mehr als ich angenommen hatte! Auf jeden Fall könnt ihr mit dem Entdecken locker einen Tag füllen. Die Gedenkstätten gehören übrigens allesamt zu den Angeboten, die euch kostenlos in Berlin zur Verfügung stehen.
Natürlich ist das hier nur eine sehr verkürzte Darstellung. Wer etwas mehr lesen möchte, dem kann ich als ersten Überblick den Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung empfehlen. Wenn ihr mehr über die Biografien der Mitglieder wissen wollt, solltet ihr mit etwas Zeit in die Gedenkstätte Deutscher Widerstand gehen – die Infos würden hier leider den Rahmen komplett sprengen.
2 Comments
Werner
Das geht einem durch Mark und Bein! Und aktuell liegt die AfD bei 20%!! Jeder Fünfte in Deutschland sympathisiert mit den Rechtsextremisten! Nie wieder!, hieß es einmal …
Tina Hoffmann
Ja, das ist wirklich erschreckend! Man sollte meinen, dass man hier aus der Geschichte gelernt hat …